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Andrü: Theseus.
taurus tötete, oder mit ihnen zu sterben. Zwar beschwor ihn der alte
König, daheim zu bleiben und ihn nicht des einzigen Sohnes und
Erben zu berauben, der kaum erst das väterliche Haus betreten hatte.
Doch Theseus beharrte auf seinem Vorhaben, und Ägeus ließ ihn
endlich ziehen. Wenn die Befreiung der Armen gelänge, sollte das
Schiff auf der Rückfahrt statt des schwarzen Segels, das es führte,
ein weißes aufspannen.
3.
Theseus landete mit den unglücklichen Opfern in Kreta und er¬
langte von den: König Minos die Zusage, daß den Athenern der Tribut
erlassen sein sollte, wenn er des Minotaurus Herr zu werden vermöchte.
Schwerlich aber hätte Theseus seine Absicht ausführen können, wenn
ihm nicht Hilfe zu teil geworden wäre. Die Göttin der Schönheit
und Liebe, Aphrodite, stand ihm bei. Als Theseus mit seinen Gefährteil
auf Kreta ankam, fügte es diese, daß ihn sogleich Ariadne, die schöne
Tochter des Königs Minos, erblickte und lieb gewann. Sie gab ihm,
ehe er mit seinen Leidensgefährten den Weg in das Labyrinth antrat,
ein Schwert und einen Knäuel Garn. Theseus band nach ihrem Ge¬
heiße das Ende des Fadens am Eingänge des Labyrinths fest und
ließ ihn dann, vorwärts schreitend, ablaufen. So gelangte er endlich
zu denr Minotaurus. Tapfer griff er das Ungeheuer an und besiegte
es. Dann fand er, dem Faden der Ariadne folgend, wieder den Rück¬
weg. König Minos war aber über den Tod des Minotaurus auf¬
gebracht, und Theseus dachte auf rasche Flucht. Ariadne sah wohl
ein, daß sie den Zorn ihres Vaters werde zu fürchten haben, wenn er
erfahren sollte, daß sie Theseus beigestanden habe, und sie beschloß,
ihm nach Athen zu folgen.
Die Heimkehrenden erreichten ungefährdet die Insel Raxos. Hier
legten sie an, um eine kurze Rast zu halten. Als aber alle im Schlafe
lagen, erschien Dionysos (Bacchus), der Gott des Weines, bem Theseus
im Traume und gebot ihm, die schöne Ariadne auf Raxos zurück¬
zulassen; sie sei dazu bestimmt, die Gemahlin des Gottes zu werden.
Theseus gehorchte denr Gebote und segelte nüt seinen Gefährten davon,
während die tief schlafende Ariadne zurückblieb. Als diese anr folgenden
Morgen erwachte und das Schiff des Theseus in der Ferne ihren
Blicken entschwinden sah, brach sie in verzweiflungsvolle Tränen über
den Treulosen aus, der sie so grausanr verlassen hatte. Schon dachte
sie daran, ihr unseliges Leben in den Wellen des Meeres zu enden;
da trat plötzlich Dionysos, die Stirne mit einem Diadem umwunden,
das in glänzenden Locken herabwallende Haupthaar mit grünen Wein-
und Efeuranken durchflochten, vor sie hin, sie zu trösten. Ariadne
vermählte sich mit denr Gotte und war fortan seine Begleiterin auf
Paldamus, Deutsches Lesebuch. Ausg. C. Quinta. 6