104
Der sanfte Melanchthon vergoß häufig Thränen über diesen trostlosen
Zustand, und Luther schrieb über seine damaligen Erfahrungen:
„Es ist eine klägliche, elende Not, so ich neulich erfahren habe, da ich auch ein
Visitator war. Hilf, lieber Gott, wie manchen Jammer habe ich gesehen, daß der ge¬
meine Mann doch so gar nichts weiß von der christlichen Lehre, sonderlich auf den
Dörfern! Und leider viel Pfarrherrn fast ungeschickt und untüchtig sind zu lehren; und
sollen doch alle Christen heißen, getauft sein und der heiligen Sakramente genießen;
können weder Vaterunser, noch den Glauben oder die zehn Gebote, leben dahin wie
das liebe Vieh und unvernünftige Säue. Darum bitte ich um Gottes willen euch alle,
so Pfarrherrn und Prediger sind, wollet euch eures Amtes von Herzen annehmen, euch
erbarmen über euer Volk, das euch befohlen ist, und uns helfen, den Katechismus in
die Leute, sonderlich in das junge Volk bringen."*)
Um dieser großen Unwissenheit einigermaßen zu steuern, schrieb er 1529
den großen und kleinen Katechismus. Der große war für Pfarrherrn
und Lehrer, der kleine für Jugend und Volk bestimmt. In ihnen wollte er
einen kurzen Inbegriff der Lehre der heiligen Schrift geben.
Beide Katechismen haben großen Segen gestiftet; denn nächst der Bibel
hat besonders der kleine Katechismus in seiner kernigen, volkstümlichen Sprache
am meisten zur Befestigung der evangelischen Lehre und zum Verständnis der¬
selben beigetragen.
Auch noch in anderer Weise sorgte Luther für das Schulwesen. In
vielen Dörfern und Städten gab es gar keine Schulen. Da richtete Luther
eine besondere Schrift an solche Gemeinden, die hieß: „An die Bürgermeister
und Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen
aufrichten und halten sollen." In dieser Schrift ermahnt er, doch der
Erziehung der Jugend nicht zu vergessen; denn dieselbe sei viel wichtiger als
manche andere Einrichtung in der Gemeinde. In einer besonderen Schrift an
die Geistlichen fordert er sie auf, die Leute zu ermahnen, ihre Kinder zur
Schule zu halten. Und Philipp Melanchthon mußte einen Schulplan aus¬
arbeiten, nach welchem zunächst durch die Visitatoren die Pfarrherren, und
durch diese die Jugend unterrichtet werden sollten.
So sehen wir Luthers große Fürsorge für die Volksschule, deren Vater
und Schöpfer er geworden ist.
2. Luthers Fürsorge für den Gottesdienst. Wie für die
Schule, so sorgte er auch für den Gottesdienst. Sein Sinnen und Trachten
ging dahin, daß das Wort Gottes in den Gemeinden lebendig und lauter ge¬
predigt würde, daß die Zuhörer es sich aneignen und auf Grund desselben mit
Gebet, Bitte und Danksagung zu Gott sich erheben sollten. Deshalb schied er
alle unchristlichen Zuthaten aus. Die Gemeinde schnurrte beim Beginn des
Gottesdienstes das Pater noster und das Ave Maria nicht mehr nach dem
*) Aus der Vorrede zum kleinen Katechismus.