14 § 7.
Zwar scheint es nach den neuesten Ergebnissen der Sinologie
(= Kunde von Chinas Vergangenheit), als ob auch die Kultur der
Chinesen, die sich bis ins 12. Jahrhundert y. Chr. zurückverfolgen läßt,
nicht lediglich aus dem Schoß des eigenen Volkes erwachsen sei;
namentlich dürfte die Kenntnis der Schrift ihnen von Babylonien und
Elam her zugeführt worden sein. Indes zeigt sich, soweit man in der
Geschichte des ungeheuren .Reiches zurückgeht1), eine solche Gleich¬
mäßigkeit und Stetigkeit der Verhältnisse, ein so starres Festhalten am
Alten und Überlieferten, daß von einer geschichtlichen Entwicklung
füglich nicht die Rede sein kann2).
Die mächtigste Gestalt aus der Vergangenheit Chinas ist Kon-fu-tse
(Confucius), der 478 vor Chr. starb, zugleich ein tiefdenkender Weltweiser
und praktischer Gesetzgeber, dem es in seinen Schriften wie in seiner
umfangreichen Wirksamkeit in öffentlichen Stellungen hauptsächlich darauf
ankam, eine gesunde Sittenlehre zum Kern der Weltanschauung seiner
Landsleute zu machen3).
Die gefährlichen Einfälle der Hiongnu veranlaßten im dritten Jahr¬
hundert vor unserer Zeitrechnung den Riesenbau der „chinesischen
Mauer“, die sich in der Höhe von etwa 8 Meter 300 Meilen weit vom
Meerbusen von Petschili bis zur Stadt Su-tscheu (sprich: Sutschau) zieht
und als Schutz wehr zu dienen hatte.
Die großartigen Erfindungen, mit welchen China dem Abendland um
viele Jahrhunderte vorauseilte, die Buchdruckerkunst und das Schie߬
pulver, haben zwar nicht die Ausnutzung und Vervollkommnung erfahren
wie bei uns, gewähren aber immerhin einen Einblick in den Umfang der
frühreifen chinesischen Kultur.
Die heutigen Herren von Japan stehen in entfernter Verwandtschaft
mit den Chinesen. Ihr Fürstengeschlecht, dessen Haupt (Kaiser) Mikado
(= geheiligte Majestät) genannt wird, ist 21/2 Jahrtausende alt. Mit den
Chinesen haben sie eine auffallende Übereinstimmung in Sitten und Ge¬
wohnheiten4). Dagegen zeichnen sie sich in neuester Zeit vor denselben
durch eine außerordentliche Empfänglichkeit für die Fortschritte euro¬
päischer Bildung und Gesittung aus, wie ihnen überhaupt eine bedeutende
geistige Reife von landes- und volkskundigen Europäern nachgerühmt wird.
§ 7. Einteilung der Geschichte des Altertums.
Im Gegensatz zum Mittelalter, namentlich aber zur Neuzeit, wo
die Geschichte immer weitere Gebiete der bewohnten Erde in den
*) Die meisten Nachrichten über die beiden ersten Jahrtausende der
chinesischen Geschichte sind sagenhaft, da bei einem grossen Bücherbrand
unter dem König Schi-hoang-ti 213 v. Chr. fast sämtliche Geschichtsquellen
mit verbrannten.
2) Die Chinesen rühmen: „Die Satzungen unseres Landes sind un¬
verbrüchlich. Es ist Barbarenart, heute dies, morgen jenes zu wollen, bald
dieses, bald jenes umzugestalten.“
8) Von der Hoheit seiner sittlichen Lebensauffassung zeugt u. a. die
Tatsache, daß er bereits den Satz lehrt: Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst!
4) Doch hatte vorübergehend (in der zweiten Hälfte des 16. und in den
ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts) das Christentum durch die J esuiten
(Franz Xavier kam 1549 nach Japan) kräftige Wurzel gefaßt, wurde aber,
da man gegen die Jesuiten als Vorboten der spanischen Herrschaft Argwohn
schöpfte, durch furchtbare Verfolgungen wieder mit Stumpf und Stiel aus¬
gerottet.