Full text: Geschichte des Mittelalters (Hälfte 1)

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Aposteln gestanden, auch ihnen nicht die Weihe erteilt; folglich steht auch 
dem Nachfolger Petri die Befugnis nicht zu, die Bischöfe — die Nachfolger 
der Apostel — einzusetzen und zu weihen. Überhaupt läßt sich der Anspruch 
der Bischöfe von Rom, sie seien Petri Nachfolger, nicht aus der Schrift er- 
weisen; die ganze Petruslegende hat wegen ihrer Widersprüche mit der 
heiligen Schrift als apokryph zu gelten.1) Das Recht, Bischöse und Priester 
einzusetzen oder abzusetzen, gebührt dem Gesetzgeber, d. h. der Gesamtheit 
der Gläubigen; ein Bischof, ein Priester oder ein Priesterkollegium kann 
nur infolge ausdrücklicher Ermächtigung der gefetzgebenden Gewalt dabei 
mitwirken. Die Verleihung der Temporalien ist Sache des Stifters, doch 
werden sie durch den Übergang in geistliche Hände nicht von öffentlichen Lasten 
befreit. Alleinige Grundlage des Glaubens ist die heilige Schrift; die De- 
kretalen und die Dekrete der Päpste und Kardinäle können nicht als un- 
fehlbar angesehen werden. Erheben sich über die richtige Auslegung der 
heiligen Schrift oder der Glaubenslehre Zweifel, fo ist allein ein General- 
konzil aller Gläubigen oder ihrer Bevollmächtigten (Geistlichen oder Laien) 
zur Entscheidung befugt;2) ihm fällt auch die äußere Gestaltung des Gottes- 
dienstes zu. Der christliche weltliche Gesetzgeber oder dessen Bevollmächtig- 
ter hat das Konzil zu berufen, feine Wirksamkeit zu überwachen und seinen 
Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Das Konzil allein kann dem römischen 
Bischöfe eine Autorität über die anderen Bischöfe übertragen; in gewissem 
Sinne mag es zweckmäßig sein, daß die Kirche einheitlich geleitet wird, aber als 
eine unbedingt notwendige oder gar im göttlichen Rechte und der Bibel begründete 
Einrichtung läßt derDefensorPacis das Papsttum nicht gelten. Scharfe Schlag¬ 
lichter fallen bei dieser Erörterung aus dm wissenschaftlichen und sittlichen 
Verfall im Klerus, auf die Mißstände und Mißbräuche in der Hierarchie. 
Im besonderen wenden sich die Verfasser darauf gegen Papst Johann XXII., 
„jenen großen Drachen, die alte Schlange, die mit Recht Teufel und Satan 
genannt wird." Auf Grund der vorausgegangenen Erörterungen über die 
Grenze zwischen geistlicher und weltlicher Macht werden seine Ansprüche auf 
Bestätigung eines von den Kurfürsten gewählten Königs, auf oberste geist- 
liehe und weltliche Jurisdiktion im Falle der Thronerledigung zurückgewiesen, 
seine Maßregeln: Aufhetzung der Geistlichen und Laien gegen Ludwig, 
Lösung des Unterthaneneides, als staatsgefährlich gebrandmarkt. Dies der 
Inhalt der beiden ersten Teile (Dictiones) der Schrift; der dritte, die Con- 
clusiones, faßt die Ergebnisse der Untersuchung in kurzen Sätzen zusammen. 
Wie die Analyse des Inhalts lehrt, ist der Defensor Pacis eine Schrift 
von der höchsten Bedeutung, denn sie enthält Lehrsätze, die in jener Zeit als 
schlimme Ketzereien betrachtet wurden, die aber im Laufe der folgenden Jahr- 
hunderte, durch die Reformation des sechzehnten, durch die Revolution des 
potestatem solvendi atque ligandi homines a peccatis p. 239, Z. 32) ppecie, nec 
ampliorem habet hunc Romanus episcopus aut alter aliquis quam simplex die- 
tus sacerdos quicunque; und dazu dictio III. concl. 17 p. 310: omnes episcopos 
aequalis autoritatis esse immediate per Christum neque secundum legem divinam 
convinci posse, in spiritualibus aut temporalibus praeesse invicem vel subesse. 
1) Def. pac. II, 16, p. 211slg. 2) Def. pac. III, concl. 1, p. 309: solam 
divinam seu canonicam scripturam et ad ipsam per necessitatem sequentem 
quameunque ipsius interpretationem ex communi concilio fidelium factam veram 
esse (et) ad aeternam beatitudinem consequendam necesse credere, si alicui 
debite proponatur.
	        
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