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einen kleineren einheitlichen Kern, der dabei selbst verändert
wurde, sich andere dichterische Gebilde in mannigfachen, zum
Teil sich untereinander verschlingenden oder verschiebenden
Schichten ansetzten. Der Heldengesang (die xtea dvögcbv), in
frühen Zeiten von den vornehmen Herren selbst gepflegt und aus¬
geübt, wurde zum Beruf der wandernden Sänger (äoiöoi);
die Lieder, die sie vortrugen, waren ihnen überliefert oder auch
von ihnen selbst mit Verwendung alter Formeln und auf Grund¬
lage des herrschenden Sagenstoffes gedichtet. Gegen Ende der
epischen Zeit traten an ihre Stelle die vor dem Volk deklamie¬
renden Rhapsoden, bei denen die schöpferische Selbständig¬
keit immer mehr abnahm. Ursprünglich aber waren die epischen
Gesänge mit dem herrschenden Adel aufs engste verwachsen. Sie
waren bestimmt, gehört zu werden; die Schrift, von der man im
VIII. Jahrhundert für Aufzeichnungen von öffentlichem Interesse,
wie Beamtenlisten, Stammbäume u. a. Gebrauch zu machen be¬
gann, war höchstens für die letzten Zeiten der heroischen Poesie
von Belang. Die homerische Sprache ist ausschliesslich dichte¬
rische Kunstsprache. Ob Homer (mannigfach auf 900 angesetzt)
eine geschichtliche Persönlichkeit war, und wenn, welcher Anteil
ihm dann an der Bildung der zwei grossen Epen oder wenigstens
der Ilias zukommt, ist strittig. Ihm schrieben die Griechen
lange auch die Epen zu, welche besonders die Ilias inhaltlich
nach vorn oder rückwärts ergänzten, so dass der troische Sagen¬
kreis vollständig behandelt war, oder auch andere Sagenkreise, be¬
sonders den thebanischen, behandelten: den„epischenKyklos“,
von dem neben Auszügen nur wenige Bruchstücke erhalten sind.
Später betrachtete man Homer nur als den Dichter der Ilias und
Odyssee, ausserdem eines kleinen komischen Epos Margites und
der „Hymnen“, richtiger tzqooljukx, welche die Sänger vor dem
Vortrage von Teilen der beiden grossen Epen zu Ehren des
jeweils festlich verehrten Gottes vortrugen. Noch später hielten
manche nur die Ilias für ein Werk des Homer („Chorizonten“).
Gegenüber dem überwiegend von lebensfrohem Sinn durch¬
tränkten und vor allem Unterhaltung anstrebenden homerischen
Epos zeigt trübe, pessimistische Lebensauffassung die genea¬
logisch-didaktische Poesie des um 700 im böotischen Askra
lebenden Hesiödos, die über die Entstehung der Götter und
Menschen und über die rechte Haltung des Menschen gegenüber
des Lebens Not und Mühen belehren will. Seine Epen, die
Tlieogonie und die Werke (und Tage), wurden mit man¬
chen Einlagen und Weiterbildungen durchsetzt. In seinen „Wer¬
ken“ stellt er unter anderem das von ihm angenommene stufen¬
weise Sinken des Menschengeschlechts in der Abfolge der fünf