126 
lmnderts am stärksten in Südfrankreich und Oberitalien, wo eine vielseitige 
Kultur und in den Städten grosse soziale Unterschiede sich entwickelt hatten. 
Hier fanden die dualistischen Anschauungen christlicher Sekten des oströmischen 
Reiches, seit Ende des X. Jahrhunderts durch den byzantinisch-italienischen 
Handel dem Abendland vermittelt, eine zahlreiche Anhängerschaft, die seit 
dem Anfang des XII. Jahrhunderts die organisierte Sekte der „Reinen“, 
Katharer (hieraus Ketzer), bildeten. Sie gliederte sich nach den drei Stufen 
der durch das consolamentum (Sakrament der Handauflegung) zur strengsten 
Askese verpflichteten „Apostel“ oder perfecti, der erst durch eine Seelenwande¬ 
rung ins Lichtreich gelangenden „Gläubigen“ und der „Hörer“. Die Apostel 
wirkten als Wanderprediger, sie verwarfen insbesondere die Sakramente der 
katholischen Kirche. Gläubige und Hörer blieben äusserlich im Verband der 
Kirche. Rückkehr zum apostolischen Leben (Ev. Matth. 10) war auch das 
Losungswort der Waldenser. Petrus Valdes, ein reicher Bürger aus Lyon, 
gab um 1177 sein Vermögen den Armen und zog aus, das Evangelium zu 
predigen; er schuf die Gemeinschaft der „Armen von Lyon“. Sie wichen 
nur wenig von der Lehre der Kirche ab, aber stellten, besonders seit ihrem 
Ausschluss aus der Kirche 1184, ihr eine apostolisch-asketische Hierarchie 
gegenüber, die u. a. Beichte abnahm. Sie gliederten sich in „Gläubige“, die im 
wesentlichen im Verbände der Kirche blieben, und „Brüder“. Eine schroffere 
Haltung der Kirche gegenüber nahmen innerhalb der allgemein-waldensischen 
Richtung die „Lombarden“ ein, die seit etwa 1250 auch in Süddeutschland 
«•rossen Anhang hatten. Während in Italien Gefängnis, Gütereinziehung und 
Verweisung als bürgerliche Strafe der Ketzerei sehr rasch durchgesetzt, in Ara- 
gonien und Katalonien 1197 sogar die Todesstrafe eingeführt wurde, schützten 
in Südfrankreich die meisten Städte und Herren die Ketzer. Zwei von Innocenz 
abgesandte Cisterzienser versuchten durch Disputationen und Predigten die 
Katharer zu beseitigen. Als aber 1208 der eine, Pierre von Castelnau, er¬ 
schlagen wurde, so verkündete Innocenz einen Kreuzzug gegen 
die Ketzer, den der nordfranzösische Adel, auch aus Abneigung gegen die 
Südfranzosen und aus Erwerbgier, ausführte. Städte (darunter Albi) und Burgen 
wurden in grosser Anzahl zerstört, die Ketzer schonungslos vernichtet. Nach¬ 
dem König LudAvig VIII. von Frankreich den letzten Kreuzzug gegen die Ketzer 
1226 unternommen hatte, endeten die Kämpfe 1229. Der grösste Teil der 
Grafschaft Toulouse fiel an die französische Krone. Die Verfolgung und Be¬ 
strafung der Ketzer betrieb aber noch weiter die Inquisition („i. haereticae 
pravitatis“). Seit 1184 als bischöfliche eine Aufgabe der bischöflichen Send- 
(synodus)-gerichte, wurde sie 1215 von Innocenz allgemein durchgeführt und 
seit 1233 durch besondere Beauftragte des Papstes, besonders die 
Dominikaner, geübt. 1215 war auch die weltliche Gewalt zur Verfolgung 
und Vertreibung der Ketzer bei Strafe des Kreuzzugs verpflichtet worden. 
Die Tortur, die das ältere kanonische Recht nicht kannte, entnahm der 
Ketzerprozess dem Verfahren der weltlichen Gerichte. Die Todesstrafe, die 
<Ier weltliche Arm zu vollziehen hatte, wurde für Hartnäckige oder Rück¬ 
fällige allgemein festgesetzt, mit ihr war Einziehung des Vermögens bezw. 
Verkürzung des Erbrechts für Kinder und Enkel verbunden. An dem Er¬ 
trag der Vermögenseinziehungen und der häufigen Geldstrafen wurden die 
öffentlichen Gewalten beteiligt. Die Katharer erlagen nach und nach der Inqui¬ 
sition, die Waldenser erhielten sich in einzelnen Gebieten. In Deutschland und 
seinen östlichen Nebenländern, sowie in England war die Arbeit der Inquisi¬ 
tion längere Zeit noch unbedeutend. Der Gebrauch, den diese ketzerischen 
Richtungen (wie später Wiclif, s. § 62) von der Bibel machten, bewirkte, 
dass die kirchlichen Autoritäten (schon Innocenz III.) immer mehr der Bibel¬ 
lektüre der Laien, insbesondere aber der Uebersetzung der Bibel in die Landes¬ 
sprachen widerstrebten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.