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§ 4. Die christliche Kirchex) in den vier ersten Jahrhunderten.
Die folgenreichste Einwirkung römischerseits erfuhren die
Germanen dadurch, dass sie durch ihre Beziehungen zum
römischen Reich mit dem Christentum, und zwar in der Aus¬
gestaltung, die diesem hier gegeben worden war, bekannt wurden.
Das Christentum hatte sich, nachdem die Erwartung des nahen
Weitendes aufgegeben war, in der diesseitigen Welt eingerichtet,
zunächst so, dass die Christen der einzelnen Städte Gemein¬
den mit Gemeindeämtern bildeten, indem Vertrauensmänner der
Gemeinde als Vorsteher und Seelsorger (Bischof) und als
dessen Genossen in der Seelsorge (Presbyter) und Gehilfen
in der Verwaltung (Diakonen) sich den durch die Bedürfnisse
des religiösen Gemeinschaftslebens geforderten Geschäften unter¬
zogen; jede Gemeinde wachte über ihre „Heiligkeit“ durch
Ausschluss unwürdiger Mitglieder, der aufgehoben werden konnte,
wenn öffentliche Busse die Gewähr der Besserung gegeben
hatte. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit dieser Gemeinden,
sowohl der Feindschaft der heidnischen Bevölkerung und des
heidnischen Staates2) als den Irrlehren der Sekten („Häresen“)
gegenüber, bethätigte sich in gegenseitigem Meinungsaustausch
über alle Fragen der christlichen Lehre, Sitte und Sittlichkeit,
unter massgebendem Einfluss der grossstädtischen Mutter¬
gemeinden, die ihre Gründung unmittelbar auf die Apostel
zurückführten. Den ketzerischen Irrlehren gegenüber galt in
allen Gemeinden die durch die apostolische Nachfolge der Bi¬
schöfe gewährleistete apostolische Tradition als der wahre,
immer und überall von allen Christen bekannte Glaube der
„katholischen“ Kirche, dessen wesentlicher Inhalt in dem
zu Rom seit 150 gebräuchlichen Taufsymbol festgelegt war,
und dem der seit Anfang des III. Jahrhunderts abgeschlossene
„Kanon“ (Massstab, Regel) heiliger Schriften als Stütze diente.
In dem Masse, als man sich von den Zeiten des Urchristen¬
tums entfernte, waren an die Stelle der freien, in einzelnen
Gemeindegliedern besonders starken, Wirksamkeit des christ¬
lichen Geistes feste Einrichtungen getreten, deren Vertreter
kraft ihres Amtes der Gemeinde ihren christlichen Charakter
*) Kirche, ahd. kiricha, aus xvoiaxöv mit Genuswechsel entstanden ;
xvQiaxri im I. Jahrtausend n. Chr. = Sonntag, erst von da an = Haus des
2) Dieser Feindschaft verdankten die Katakomben, unterirdische in
Felsen gehauene Gänge mit Nischen und Schächten, ihre Entstehung, sie
dienten den ältesten Christen als Begräbnis- und zugleich als Kultstätten, und
sind durch ihre bildlichen Darstellungen und Inschriften ein hervorragendes
Denkmal altchristlicher Bräuche und Anschauungen.