321
3. Dieser ist wie die ganze Pflanze mit dichten Haaren besetzt. Am
Stengel sind diese sogar recht stark. Warum diese Haare?
Unser Herrgott hat nichts dagegen, daß die Tierwelt bei den
Pflanzen in Kost geht und ihren Bedarf an Futter dem Pflanzenreich
entnimmt. Aber manche dieser Kostgänger sind so unverschämt und ge¬
fräßig, daß viele der wehrlosen Pflanzen in diesem erbitterten Kampf
unterliegen müßten, wenn der Schöpfer für ihre Erhaltung nicht durch
besondre Schutzvorrichtungen Sorge getragen hätte.
Die Haare an Blatt und Stengel sind solche Schutzvorrichtungen
gegen die Schnecken, denen die saftigen, weichen Blätter unsers Vergitz-
meinnichts eben nach dem Munde sein würden. Die abstehenden, starken
Haare aber verursachen den Schnecken Schmerz und halten die gefräßigen
Bummler von der Blume fern.
4. Das Vergißmeinnicht hat, wie alle ausdauernden Pflanzen, in
der Tiefe des Bachbetts einen mehrere Jahre ausdauernden Wurzelstock
angelegt, aus dem es jeden Lenz in erneuter Iugendschöne emportreibt. —
Jeden Lenz auch wieder kommen die Mädchen, pflücken jubelnd die
stille, blaue Blume und stellen den dichten Strauß in einem Glase vor
das Bild der lieben Mutter. Auch breiten sie die blauen Sterne in
Form eines Kranzes auf einem Teller mit feuchtem Sande aus, wo die
Blume noch lange fortwächst und fortblüht. Ist doch das Vergißmein¬
nicht in seiner bescheidnen Schöne so recht die Blume der Mädchen, in
deren Schmuck die schönste Blume fehlt, wenn die Bescheidenheit ver¬
loren ist.
Am liebsten aber mag ich doch das Vergißmeinnicht am Bache. Es
ist etwas Wunderliebes, mitten zwischen diesen stillen, schönen Blumen¬
kindern zu sitzen, aus denen es uns wie ein Gruß aus dem Paradiese
anschaut; zwischen diesen stillen Himmelssternen, die uns so rührend süß
anblicken wie blaue Kinderaugen. Stephan Neinke.
181. Der kleine Bergmann.
(Gekürzt.)
1. Gewiß hast du schon davon gehört, daß der Bergmann tief unter
der Erde arbeitet und das schöne Silber, das herrliche Gold oder das
nützliche Eisen aus den Bergen herausholt. Ehre und Achtung diesem
fleißigen Arbeiter, der sein Tagewerk unter viel Gefahr und großer Mühe
treiben muß. Heute will ich dir aber von einem kleinen vierbeinigen
Bergmann erzählen, den man Maulwurf nennt, und dessen Tisch nach
der Arbeit immer nur im Innern der Erde gedeckt ist. Der kurze, dicke
Bursche hat einen samtschwarzen Vergmannskittel an, der bald weißlich,
bald bläulich schillert und wie ein Pelz behaart ist. Wenn er anfängt,
Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. Teil II. 21