Object: Lehrbuch der Weltgeschichte oder umständlichere Erzählung der merkwürdigen Begebenheiten aus der allgemeinen Weltgeschichte

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wie wir, sondern eine Art Zeichenschrift. — Anfangs nehmlich, als 
die Menschen zuerst auf den Gedanken kamen, etwas durch Linien und 
Umrisse auf einer Fläche auszudrücken, malten sie das Ding oder die 
Begebenheit, welche sie bezeichnen wollten, selbst hin. Dies kann man 
aber keine Schrift nennen; es waren rohe Anfange zu geschichtlichen 
Gemälden, die man ohne mündliche Erklärung nicht verstehen konnte. 
Darauf als die Menschen Eigenschaften an den Dingen bezeichnen, 
als sie ihre Gedanken zur Mittheilung an Andere auf Flächen aus¬ 
drücken wollten, wählten sie Bilder, die ihnen mit den Gedanken Aehn- 
lichkeit zu haben schienen. Später kürzte man diese Bilderschrift noch 
ab, zeichnete bloß einige in die Augen fallende Eigenschaften, um da¬ 
durch das Ganze anzudeuten, und es entstand Zeichenschrift. Diese 
hatte fast für jedes Wort ein eigenes Zeichen; daher die altägyptische 
Sprache schreiben und lesen zu können eine nicht kleine Kunst war. 
Nur die Gelehrtesten unter den Aegyptern verstanden es; dies waren 
die Priester, die heiligen Männer: daher bekam diese Schriftart den 
Namen der heiligen, oder mit einem griechischen Worte, der hierogly- 
phischen, und man sagt, die Aegypter hatten nicht Buchstaben, sondern 
Hieroglyphen. Zwei Menschenfüße im Wasser bedeuten einen Walker; 
eine Sturmleiter die Belagerung einer Stadt; ein Auge Vorsicht; eine 
vorgestreckte gebende Harid Güte und Mittheilung; eine hohle flache 
Hand das Empfangen; ein Krokodill bedeutet die Verschwiegenheit oder 
den unnennbaren Ewigen; eine Schlange, die sich in den Schwanz 
beißt, die Zeit oder den Kreislauf eines Jahres ; ein Pfauenschwanz 
die Vergänglichkeit der Schönheit: und schön bezeichneten sie einen ge¬ 
rechten Richter durch einen Mann, der in richterlicher Tracht auf einem 
Stuhle sitzt mit zur Erde geheftetem Blicke und abgehauenen Händen, 
damit er ohne Ansehen der Person sein Urtheil sprechen und keine Ge¬ 
schenke nehmen könne. — Ungeachtet diese Art zu schreiben sehr weit¬ 
läufig und unvollkommen war, zeigte doch auch hier die Gewohnheit 
ihre erleichternde aber auch erschlaffende Kraft: denn auch als die Buch¬ 
stabenschrift erfunden war, behielten die Aegypter noch immer neben 
der Buchstabenschrift die Hieroglyphenschrift. Ihre Obelisken, die 
Wände ihrer Tempel und Grabmäler sind voll von solchen Bildern: 
da steht wohl manche Geschichte, manche am Himmel und auf der 
Erde gemachte Beobachtung, manches fromme Gebet aufgeschrieben; 
aber wir können es nicht lesen, weil wir die Bedeutung der meisten 
Zeichen nicht kennen und weil ihre Verbindung mit einander durch 
nichts angedeutet ist, also ganz der Willkühr überlassen bleibt. Die 
Erfindung der Buchstabenschrift daher, welche Zeichen für die Töne 
aussann, ist, wie die Alten rühmeten, eine wahrhaft göttliche Erfindung, 
schrieben die alten Griechen auf Thierhäute, späterhin auf die äußere Schale 
einer Pflanze, Biblos, daher sie auch ein Buch Bibel nannten, woher 
wir noch das heiligste Buch vorzugsweise Bibel, das ist Buch, nennen. Die 
Römer schrieben aufBaumbast und nannten daher auch das Aufgeschriebene 
oder ein Buch Vast, lateinisch über. Später schrieb man auf Tafel«, die 
mit Wachs überzogen waren. In Indien schreibt man noch jetzt auf Kokos¬ 
blätter; und in Göttingen ist eine ganze Bibel auf 6376 Palmblätter geschrieben.
	        
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