Full text: Aus der antiken Geisteswelt

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Die dritte, von allen wohl die am wenigsten leistungsfähige, hofft 
mit der Zeit durch des Volkes Besonnenheit und Tüchtigkeit zu einem 
friedlichen und gesetzlichen Zustande zu gelangen, Volksherrschaft ge¬ 
nannt, eine anspruchslose Bezeichnung, die sich wohl hören läßt, wenn 
nur die Sache selbst durchführbar wäre. Diesen drei genannten Staats¬ 
formen stehen drei gesetzwidrige Auswüchse gegenüber: Die erste ist 
die Tyrannis, wo durch den Übermut und die Gewalttätigkeit der 
Schlechtesten die anderen zugrunde gehen. Nach ihr kommt die Oli¬ 
garchie, das mit Härte und Ungerechtigkeit gepaarte Übergewicht einiger 
weniger Reichen und Schlechten, die sich gegen die Mehrzahl der Un- 
vermögenden verschworen haben. Daran schließt sich die aus Leuten 
aller Art breit gemischte, völlig unwissende Volksmasse, in einem fort 
aufgeregt und aufgehetzt von zügellosen Demagogen, wie ein wilder 
vernichtender Wogenschwall von grausen Stürmen hin und her geworfen. 
40. Begriff des Staates. Aristoteles, Acht Bücher vom Staate. 
Wie wir sehen, ist jeder Staat eine Art von Gesellschaft, und jede 
Gesellschaft besteht zu irgend einem guten Zwecke. Denn alles, was 
Menschen tun, tun sie um dessen willen, was sie für gut halten. Wenn 
also alle Gesellschaften irgend ein Gut zu erreichen suchen, so strebt 
offenbar danach ganz besonders, und zwar nach dem vorzüglichsten 
aller Güter, die vorzüglichste von allen, die alle anderen umfassende 
Gesellschaft: dies ist aber der sogenannte Staat oder die bürgerliche 
Gesellschaft. 
Nun ist es aber eine irrige Ansicht,*) daß der Beruf des Staats¬ 
mannes, Königs, Hausvaters, Herrn einer und derselbe sei. Man setzt 
dabei den Unterschied nur in die Anzahl der Glieder, nicht in die Art 
der betreffenden Gesellschaften: Wenn nämlich einer nur wenige unter 
sich habe, sei er Herr, wenn mehrere, Hausvater, wenn noch mehrere, 
Staatsmann oder König, als ob zwischen einer großen Hausgenossen¬ 
schaft und einem kleinen Staate kein Unterschied wäre. Was den 
Staatsmann und König betrifft, so heiße er König, wenn er für sich 
allein an der Spitze stehe, Staatsmann aber, wenn er nach den Grund¬ 
sätzen der hierher gehörigen Wissenschaft, beziehungsweise befehlend 
oder gehorchend, an der Staatsleitung teilnehme (Republik). 
Dies ist aber nicht richtig, und das wird klar werden, wenn man 
die Sache nach der induktiven Methode betrachtet. Denn wie man 
auch in anderen Fällen das Zusammengesetzte bis auf das Einfache 
d. h. in die kleinsten Teile des Ganzen zerlegen muß, so ist es auch 
mit dem Staate. Untersuchen wir seine Bestandteile, so werden wir 
auch in Beziehung auf diese eher erkennen, worin sie sich voneinander 
unterscheiden, und ob es überhaupt möglich ist, jede einzelne der ge¬ 
nannten Berufsarten wissenschaftlich zu begreifen. 
*) Sokrates, Platon und dessen Schule, auch die Sophisten sind damit gemeint.
	        
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