o
Geistliches Drama. Fastnachtsspiele.
73
und wurden vielfach für den kirchlichen Gebrauch verboten. So verlegte man
sie auf den Markt; auch Laien beteiligten sich an der Aufführung, und die
Sprache wurde nunmehr allmählich deutsch. Im 14. und 15. Jahrhundert hat
sich diese Entwicklung durchgesetzt und auch auf andere biblische und legendere
Stoffe ausgedehnt, z. B. das Spiel von den zehn klugen und törichten
Jungfrauen. Der Engel fordert die Jungfrauen auf, sich zum Hochzeitsmahl
zu rüsten. Die klugen folgen, die törichten spielen Ball- und Brettspiel,
schmausen, schlafen, bis es zu spät ist. Angstvoll suchen sie hier und dort nach
Öl für ihre niedergebrannten Lampen, während die klugen schon mit Christus
und Maria an der Tafel sich niederlassen. Vergeblich bittet die Gottesmutter
fußfällig für sie, Christus muß sie um der Gerechtigkeit willen dem Teufel
überlassen, der sie mit seinen Helfern holt. Ergreifend sind ihre Klagen:
„Nun hebet sich groß Jammern, ohne Ende wird geklagt:
Verflucht hat uns Gott selber, verstoßen und verjagt;
Wir haben ihn erzürnet, nun hilft uns niemand mehr;
Das lasset all ihr Lieben euch erbarmen,
Denn unser Los ist überschwer,
O weh und aber weh,
Wenn ich Jesum Christum nun und nimmer seh'!
Wir klagen euch, ihr Lieben, was unser Herr uns tat:
Seiner Mutter Bitten er nicht erhöret hat;
Sie flehte für uns Ärmste: vergebner Hoffnungswahn!
Er sprach: „Wie sollt ich derer mich erbarmen,
Die mir zuliebe nichts getan?"
O weh und aber weh,
Wenn ich Jesum Christum nun und nimmer seh'!
In allen diesen Spielen ist aber die dramatische Kunst noch wenig ent¬
wickelt; es sind mehr Erzählungen in Gesprächsform ohne dramatischen Aufbau.
Viele Weihnachts-, Oster- und namentlich Passionsspiele sind uns über¬
liefert. Es ist interessant, daß sich diese Volksspiele bis heute, wenn auch in
veränderter Form, erhalten haben, so die alle zehn Jahre gefeierten welt¬
berühmten Oberammergauer Passionsspiele.
Als gleichzeitige weltliche Wurzel unserer Dramatik kann man die in
jener Zeit sehr gepflegten Fastnachtsspiele ansehen. Vor den Fasten (Fast¬
nacht = Nacht vor den Fasten) will das Volk sich noch einmal austoben mit
allerhand Mummenschanz (Mumme — Maske, Schanz — Spiel), Aufzügen
und Spielen verkleideter Personen, die alle möglichen Begebenheiten des
Jahres in derben, oft auch rohen Handlungen, wobei namentlich die Bauern
schlecht wegkommen, in den Bürger- und Wirtshäusem oder auf dem Markt
darstellen. Der Barbier Hans Folz und Hans Rosenblüt, ein Gelbgießer,
sind Verfasser solcher Fastnachtsspiele, besonders aber der Schuster Hans Sachs,
der bei aller Naturwahrheit nie die Grenzen überschreitet.