§ 54. 55 England nach dem Kriege. — Frankreich vor der Revolution.
91
§ 54. England nach dem Kriege. Der Friede zu Versailles rief in
England große Erbitterung hervor und führte zu einem Wechsel in der
Regierung; William Pitt der Jüngere trat in das Ministerium ein.
Über den Verlust der amerikanischen Kolonien halfen bald bk jungen
Eroberungen der Ostindischen Kompanie, die unter Aufsicht der
Regierung gestellt wurden, hinweg. Ohne Rücksicht auf bestehende Verträge
erweiterte Warren Hastings, der etwa gleichzeitig mit dem Frecheits-
kämpfe der Amerikaner Generalgouverneur von Ostindien war, das Gebiet
der Kompanie am Ganges. Sodann wurde unter dem Lord Wellesley,
dem Bruder des späteren Herzogs Wellington, in mehrjährigem Kampfe
auch die Malabarküste erworben.
In den Jahren 1768-1779 unternahm der englische Seefahrer Deckung
James Cook drei Entdeckungsreisen nach der Südsee und eröffnete durch
die Entdeckung Australiens und die Besitzergreifung von Neu-Sßdwales
seinen Landsleuten neue Möglichkeiten zu kolonialer Ausdehnung. Als
erste englische Niederlassung in Australien wurde (1788) Sydney gegründet.
B. Die Französische Revolution.
§ 55. Frankreich vor der Revolution. Frankreichs Staatsschulden, Staats-
die bereits durch die Kriege und die verschwenderische Hofhaltung Lud-
wigs XIV. und XV. außerordentlich gewachsen waren (vgl. § 49), ver¬
mehrten sich durch die Beteiligung an dem Unabhängigkeitskampfe der
Amerikaner ins Ungeheure und waren für das Volk um fo drückender,
als fie vorzugsweise aus den am wenigsten leistungsfähigen Schultern
des „dritten Standes" lasteten, während Adel und Geistlichkeit das Vorrecht-
Vorrecht fast völliger Steuerfreiheit genoffen. Außerdem befaß der Adel unb ber
auch das Vorrecht, daß die Offizierstellen, die hohen Ämter und die
Sitze in den Parlamenten (vgl. § 8), wenn auch käuflich, so doch fast
nur ihm zugänglich waren; während er den Bauernstand durch Fron¬
dienste bedrücken durfte und durch einen lästigen Zunftzwang das Ge-
werbe, durch Binnenzölle und die mangelhafte Beschaffenheit der Wege
Handel und Verkehr gehemmt wurden. Die Generalstände, in denen die General-
Klagen und Beschwerden des Volkes hätten zum Ausdruck kommen können,
waren seit 1614 nicht mehr berufen worden; freimütige Äußerungen des
Unwillens wurden durch willkürliche Verhaftungsbefehle unterdrückt. Je
zügelloser sich schließlich am königlichen Hofe Verschwendungssucht und
Üppigkeit entfalteten, desto großer wurde die Erbitterung des Volkes und
seine Empfänglichkeit für republikanische Ideen, wie sie mit zunehmender
Schärfe von der Aufklärungsliteratur verkündet wurden.
Unter diesen Umständen hatte die Regierung noch zu Lebzeiten Reform-
Ludwigs XV. den Weg der Reformen zu betreten versucht und zunächst Der u e'
den Kampf gegen die bevorrechteten Stände aufgenommen. Diesen
Kampf eröffnete der Minister Choisenl damit, daß er (1764) den