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Das Deutsche Reich und die Weltpolitik
Kolonial- Trotz der schweren inneren Wirren schritt die Vergrößerung des
reich französischen Kolonialbesitzes rüstig vorwärts. In Asien erhielt Frank¬
reich Cochinchina und das Protektorat über Anam und Tongking.
In Afrika stellte es 1881 Tunis unter seine Schutzherrschaft; da¬
durch fühlte sich Italien verletzt und schloß den Dreibund. Mada¬
gaskar wurde französisch, ebenso Timbuktu und Dahomey. Bei
dem Vordringen weiter nach Osten geriet Frankreich in Englands
ägyptische Interessensphäre (Faschoda). In einem Vertrag überließ
es 1898 den Osten des Sudans uneingeschränkt an England und
erhielt dafür den Westen mit Marokko als ausschließliche Inter¬
essensphäre. Diese Abmachungen haben 1911 zu einem Konflikt
mit Deutschland geführt.
Äußere Seit 1893 ist Frankreich mit Rußland zum Zweibunde ver-
Polltlk einigt. Durch die Entente cordiale auch mit England befreundet,
könnte es sich genügend gegen Deutschland gesichert glauben.
Ende des § 208. Italien. Auch nach der Begründung des Königreichs
staates Italien hörte auf der Apenninenhalbinsel die nationale Bewegung
nicht auf. Die Niederlage Napoleons III. im deutsch-französischen
Kriege beraubte den Papst seines mächtigsten Beschützers. Gari¬
baldi nahm am 20. September 1870 Rom. Der Papst wurde mit einem
Jahreseinkommen von 3 Mill. Franken zum „Gefangenen“ im Vatikan
Nationale gemacht und der Kirchenstaat säkularisiert. Die nationale Bewegung
rungen nahm seitdem immer mehr einen chauvinistischen Charakter an. Die
Irredentisten verlangten die Erlösung aller italienisch sprechenden
Gebiete Südtirols, der Ostküste des Adriatischen Meeres, der Süd¬
schweiz, der italienisch sprechenden Mittelmeerinseln und der Grenz¬
gebiete in Frankreich von der Fremdherrschaft. Die von König
Humbert^ Humbert begonnene Kolonialpolitik war nicht besonders fruchtbar
Koloniale un<^ vermochte daher die nationalistischen Regungen nicht in andre
Politik Bahnen zu lenken (Besetzung Massauas 1885, Eroberung Abessi¬
niens 1889, Rückzug 1896). Versuche in Tripolis Fuß zu fassen
haben 1911 zu einem Kriege mit der Türkei geführt,
innere Die innere Kraft Italiens ist seit der Einigung beständig ge-
zustande wacfosen Regierung hat planvoll das Eisenbahnnetz ausgebaut,
Sümpfe ausgetrocknet, die Kampagna angebaut und die neue Haupt¬
stadt Rom mit Prachtbauten ausgestattet. Freilich wird die Sicher¬
heit des Staates durch die Neigung der Italiener zu anarchistischen
Umtrieben gefährdet (Ermordung König Humberts in Monza).
Politik Der Haupthaß der Bevölkerung richtet sich noch immer
ViktorEma-gegen Österreich, wenn auch der neue König Viktor Emanuel III.
sich öffentlich zum Dreibund bekannt hat. Da Italien wegen
seiner langen Küstenlinie auf die Freundschaft Englands angewiesen
ist und es von altersher als romanischer Staat zu Frankreich neigt,
treibt es eine Schaukelpolitik, die es nicht mit den Westmächten