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Deutsche Geschichte im Mittelalter.
ihn zur Absolution zu bewegen. Damit vereitelte Heinrich das Zustande-
kommen eiues Schiedsgerichts und alle weiteren Pläne seiner Gegner.
Es war einige Tage vor Weihnachten 1076 (und so kalt, daß der Rhein
vom 11. November bis Mitte März zugefroren war), als sich Heinrich mit
seiner Gemahlin Berta, die ihm im Unglück die treuefte Stütze war, seinem
dreijährigen Sohne Konrad und einem Diener heimlich aus Speyer aufmachte
und, weil die oberdeutschen Fürsten die deutschen Alpenpässe bewachten, über
den Mont Cenis zog. War der Ausstieg beschwerlich, so war der Abstieg
noch gefährlicher. Die Königin und ihr Gefolge mußten auf Rindshäute
gesetzt und über die Eisfelder hinabgeschleift werden. In Piemont hätte es
nur seines Winkes bedurft, und ein mächtiges Heer hätte ihm zur Seite ge¬
standen; aber er war einzig darauf bedacht, durch seine Lossprechung vom
Banne den Feinden in Deutschland den Vorwand zu einer Gegenwahl zu
nehmen. In Kanossa traf er Gregor. Barfuß und in härenem Gewände
stand er drei Tage (vom 25.-27. Januar 1077) vor dem Burgtor, ehe
der Papst ihn einließ und ihm nach abgelegtem Schuldbekenntnis die Abso-
lution mit dem apostolischen Segen erteilte!
Wollten die Fürsten Heinrich beseitigen, so blieb ihnen nichts als
der Bürgerkrieg. In der Tat erkannten sie die Abmachung in Kanossa
nicht an, sondern erklärten Heinrich für abgesetzt und stellten, das erste
Mal in der deutschen Geschichte, einen Gegen könig auf. Sie nahmen
also das Recht für sich in Anspruch, den König nicht nur nach
ihrem Ermessen zu wählen, sondern auch, sofern er ihnen nicht
genehm war, ihn abzusetzen. Damit wurde die königliche Gewalt der
der Fürsten untergeordnet, die von Otto I. begründete Verfaffung gestürzt.
Da sich Heinrich nicht fügte, kam es zwischen ihm und den Fürsten zum
Kampfe.
Zunächst wurde Rudolf von Rheinseldeu, Heinrichs Schwager, zum
Könige gewählt; Rudolf stützte sich auf die Sachsen, Heinrich auf die
Bürger der Städte und das Landvolk Bayerns, Böhmens und Kärntens.
Anfangs hielten die Kräfte einander die Wage, nach dem Tode Rudolfs
in der Schlacht bei Hohenmölsen unweit der Elster 1080 gewann Heinrich
die Oberhand, ein zweiter Gegenkönig ist ihm niemals gefährlich geworden.
Zug nach Italien. Da der Papst den König zum zweiten Male
gebannt hatte und sogar zwei Versammlungen deutscher Bischöfe zu Mainz
und Brixen Gregor für abgesetzt erklärten, zog Heinrich nach Rom, setzte
Gregor ab und einen Gegenpapst Klemens III. ein, von dem er 1084 die
Kaiserkrone empfing. Damals zeigte sich zuerst das Bündnis des Papstes
mit den Normannen in seiner ganzen Bedeutung*). Der Herzog Robert
*) 1016 waren normannische Ritter, von Jerusalem zurückkehrend, bei Salerno
gelandet und hatten sich vorübergehend den Kämpfen gegen die Sarazenen angeschlossen;
1022 belehnte Heinrich II. 25 normannische Ritter, die ihm gegen die Griechen Beistand
geleistet hatten, mit einem Landgebiet bei Sora; 1038 übertrug Konrad II. dem Nor¬
mannen Rainulf die Grafschaft Aversa als Reichslehen. Beide ahnten nicht, daß diese
unscheinbare Normannenherrschaft sich über Neapel und Sizilien ausdehnen und als
Stütze des päpstlichen Stuhles den deutschen Kaisern gefährlich werden sollte. Jetzt rief
Gregor die Hilfe der Normannen an.