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Deutsche Geschichte im Mittelalter.
Der vierte Kreuzzug. Obwohl es Innozenz nicht gelang, die
Wiedereroberung von Jerusalem herbeizuführen, so fand unter seinem Ponti-
fikate die größte Einwirkung des lateinischen Abendlandes auf den
Osten seit dem ersten Kreuzzuge statt. Kreuzfahrer, die sich in Venedig
sammelten, wurden vom Dogen Henrico Dandolo bestimmt, die Stadt
Zara für Venedig zu erobern. Hier erschien der aus Konstantinopel ver-
triebene Komnene Alexius und erbat, unter Zusicherung einer großen Ent-
schädigung, ihre Hilse gegen seine Feinde. Diese gingen auf das Anerbieten
ein und führten Alexius zurück. Als er ihnen aber die versprochene Summe
zu zahlen sich weigerte, eroberten sie Konstantinopel und begründeten hier
das sogenannte lateinische Kaisertum, das Konstantinopel, Epirus, Thessa-
lien und einen Teil von Griechenland und mehrere Lehnskönigtümer umfaßte,
aber nur von 1204—1261 bestand. Venedig erhielt die größten Privi-
legiert, dazu bedeutenden Gebiets- und Machtzuwachs. Aus der Plünderung
Konstantinopels stammen die herrlichsten Kunstschätze der Markuskirche und
des Dogenpalastes, vor allem die vier berühmten Bronzepferde und das
prachtvolle Tor der Sophienkirche.
Auch Innozenz erklärte sich schließlich einverstanden.
Seine Stellung als die eines Herrn der ganzen Christenheit trat auf
der vierten lateranischen Synode (1215), an der alle Patriarchen
entweder in Person oder durch Vertreter teilnahmen, auf das glänzendste
hervor. Hier wurde die päpstliche Gewalt ausdrücklich als die
Stellvertreterin der göttlichen auf Erden bezeichnet.
Die Opposition gegen die Verweltlichung der Kirche, die von den
Albigensern (nach der Stadt Albi) und Waldensern, Anhängern
des Petrus Waldus in Lyon, ausging, wurde durch die „Albigenser-
kriege", die als Kreuzzüge geführt wurden, niedergeschlagen.
Der drohenden Gefahr eines sich in der Stille vollziehenden allge¬
meinen Abfalles von der Kirche traten die Franziskaner und Dominikaner
entgegen. Franz von Assisi (1182—1226) und der Altkastilianer Domi-
nikus (1170—1221) sind ihre Stifter. Die Dominikaner wandten sich der
Wissenschaft zu, sie nahmen die Lehrstühle an den Universitäten ein; die
größten Vertreter der Philosophie des Mittelalters, der Scholastik (Albertus
Magnus, Thomas von Aquino), gehörten ihrem Orden an.
Damals erst durchdrang die Kirche das ganze bürgerliche Leben mit
ihren Einrichtungen.
§ fiO. Philipp von Schwaben (1198—1208) und Otto IX. (1198
bis 1215). Die deutschen Wirren, die nach dem Tode Heinrichs VI. ein¬
traten, gaben Innozenz die Gelegenheit, das zuerst von Gregor VII. be¬
anspruchte Recht der Bestätigung des deutscheu Königs aus-
zuüben; die Besetzung des Römischen Reiches sah er als sein
alleiniges Vorrecht an; das Kaisertum sollte zum Lehen des Papstes
werden. Die Macht des deutschen Königtums ist in dieser Zeit der Gegen-
könige zerrüttet worden. Für Friedrich, den Sohn Heinrichs VI., den
erwählten deutschen König, übernahm zunächst sein Oheim, der Herzog