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sorgen die Waldesdünste im Binnenlande für die Bewässerung des Bodens
und durch dieselbe für dessen Fruchtbarkeit.
Die Mehrzahl der Flüsse entspringt auf bewaldeten Gebirgen; der
Wald erhält einer Gegend ihren Wassergehalt, er sorgt für die Flüsse, er
ernährt ihre Quellen; in der Wüste versiegen dieselben. Die ungeheuren,
wasserreichen Ströme Nordamerikas durchziehen den Urwald; ob sie so
wasserreich bleiben werden, wenn ihre Wälder verschwunden sind? Die
Winde fahren her und hin; fällt auch auf dürren Sand ein warmer Regen,
was hilft er diesem Sande? Begierig eingesogen, wird sein Wasser ebenso
schnell wieder abgegeben, keine Pflanzen sind vorhanden, die das Wasser an
sich fesseln könnten; nur wenige Pflanzenarten können überhaupt auf dürrem
Sande gedeihen, weil nur wenige im stande sind, das Wasser lange festzu—
halten. Die Fackeldisteln und die blattlosen Wolfsmilcharten sind fast die
einzigen Bewohner tropischer Wüsten; unser Sandgras wächst auf Flugsand
dürrer Heiden und wird schon hier, indem es durch seine Wurzelausbreitung
den lockeren Sand befestigt, nützlich. Das Sandgras zeigt uns die Mög—
lichkeit, auch Wüsteneien ganz allmählich mit einer neuen Pflanzendecke zu
bekleiden.
Wenn sich im Winter Schnee und Eis auf dem Gebirge häufen, um
vor der Sonne des Frühlings zu schmelzen, so schwellen die Ströme plötz—
lich an, ein Bergstrom kommt zu anderen, die Wassermasse stürzt mit
Macht ins Thal hinab. Bedeckt ein Wald des Gebirges Grund, fließen die
Ströme durch fruchtbares Land, so wird ein großer Teil des schmelzenden
Schnees, der auf den Bäumen oder unter ihnen liegt, von der lockeren
Dammerde des Bodens aufgesogen und zurückgehalten, während er da, wo
ihn der Boden nicht aufnimmt, die Wassermenge der Flüsse vermehrt.
Seitdem die Wälder verschwanden oder über alle Gebühr gelichtet wurden,
sind die Überschwemmungen der Flüsse im Frühjahre furchtbarer als
je hervorgetreten.
Ein Bergrücken, eine Mauer, ein Wald schützen vor dem Winde. Der
Windschutz des Hochwaldes ist in mancher Gegend nicht ohne wohlthätigen
Einfluß; von ihm beschirmt, gedeiht der junge Wald, gedeiht das Ackerland;
er verhütet die weitere Ausbreitung des Flugsandes; er hemmt die nach—
teilige Einwirkung austrocknender Winde; er gewährt endlich Schatten und
Kühlung. Der wohlthätige Einfluß des Waldes auf die Luftbeschaffen—
heit einer Gegend läßt sich nicht mehr in Zweifel ziehen. Der Gesundheits—
zustand der Menschen und Tiere, das Gedeihen der Pflanzen ist von der
Luftbeschaffenheit einer Gegend abhängig; manche verheerende Krankheit, die
wir vormals nicht kannten, hängt vielleicht mit einer Veränderung der Atmo—
sphäre durch die Verminderung der Wälder zusammen.
Der Wald hat aber auch noch eine sittliche und nationale Bedeutung.
In unseren zahlreichen deutschen Walddörfern blüht das Volksleben noch im
naturfrischen Glanze. Wie die See das Küstenvolk frisch erhält, so wirkt
in gleicher Weise der Wald im Binnenlande. Der Waldbauer ist lustiger
als der Feldbauer, er singt noch mit den Vögeln des Waldes um die Wette.
Ein Dorf ohne Wald ist wie eine Stadt ohne historische Bauwerke, ohne