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I. Die Zeit der Französischen Revolution und Napoleons I.
§ 109.
§ 109. Preußens Wiedergeburt.
L Freiherr vom Stein. Die schwere Aufgabe, die Kräfte des ver-
kleineren und geschwächten Staates durch innere Umgestaltung zu sammeln
und zu erhöhen, übertrug der König auf Betreiben seiner Gemahlin dem
tüchtigsten Manne, den er finden konnte, dem Freiherrn vom Stein. Er
gehörte einem alten, reichsunmittelbaren Rittergeschlechte an, das sein
Stammschloß an der Lahn hatte. Ein warmes Herz für das Wohl des
Volkes und des deutschen Vaterlandes, klare Einsicht in das, was
not tat, und freimütiges Auftreten zeichneten ihn aus. Während des
letzten Krieges war er als preußischer Minister vom König in Ungnaden
entlassen worden. Trotz dieser Kränkung und seiner geschwächten Gesund-
1807. heit zögerte er nicht, als Erster Minister die Leitung des Staatswesens
zu übernehmen.
Überzeugt, daß in der Erziehung des Volkes zur Selbständigkeit
und zur Vaterlandsliebe die Rettung des Staates liege, bewirkte er, daß
eine Reihe von Gesetzen erlassen wurde, die erst die freie Entfaltung
der Volkskräfte und ihre Verwertung für das Gemeinwohl ermöglichten.
Zwar mußte er schon im folgenden Jahre, weil er bei Napoleon in
1808. Ungnade fiel, seine Entlassung nehmen, aber sein Nachfolger, Staats-
kanzler Hardenberg, wirkte in seinem Geiste fort.*) Stein, vom Kaiser
der Franzosen in die Acht erklärt, ging nach Österreich und von da nach
Rußland und fuhr in der Fremde fort, für die Befreiung Deutschlands
zu arbeiten.
1807. 3. Die Stein - Hardenbergsche Reform. Von 1807 an wurde die
Erbuntertänigkeit der Bauern^) allmählich aufgehoben. Die Fron-
dienste hörten auf, und der Bauer war nicht mehr an die Scholle ge-
bnnden, sondern freier Eigentümer.
1808. 1808 folgte die Städteordnung, die den übrigen deutschen Staaten
zum Vorbild diente und im großen und ganzen noch heute besteht. Die
Bürger erhielten das Recht, durch die von ihnen gewählten Stadtver-
ordneten, den von diesen gewählten Magistrat und den Bürgermeister,
der von der Regierung nur bestätigt wird, ihre Angelegenheiten selbst zu
verwalten.
Durch andere Gesetze wurden bestehende Vorrechte und Standes-
unterschiede beseitigt. Niemand war fortan der Weg zu staatlichen und
militärischen Ehrenstellen versperrt. Jedem Einwohner des Staates stand
es frei, Rittergüter zu erwerben und jedes ihm zusagende Gewerbe
zu betreiben; denn Freiheit sollte auch in wirtschaftlichen Dingen vor-
*) „Eine Revolution im guten Sinne, durch Weisheit der Regierung und
nicht durch gewaltsame Jmpulsion von innen oder außen, das ist unser Ziel."
(Hardenberg.)