6 T. Die Zeit der Französischen Revolution und Napoleons I. § 104.
e) Die Schriftsteller der „Aufklärung" beleuchteten die entarteten
Zustände. Voltaire (§ 97. 98) wirkte durch beißenden Spott, Mon-
tesquieu und I. I. Rousseau durch ernste Mahnungen. Montesquieu
sah die unumschränkte Monarchie als Ursache der Entartung an und
bewunderte die freiere Verfassung Englands. Rousseau forderte Rückkehr
zur Natur und lehrte, daß im Staate das Volk die höchste Gewalt haben
müsse. Auch gegen die Geistlichkeit, die Kirche, die Religion, ja gegen
jeden Glauben richteten sich die Angriffe vielgelesener Schriftsteller.
f) Die republikanische Gesinnung erhielt durch das Erscheinen Frank-
lins in Paris und die Teilnahme Frankreichs am Nordamerikanischen
Unabhängigkeitskriege neue Nahrung.
2. Ludwig XVI. und Maria Antoinette. Der Aufgabe, unter diesen
Umständen den Staat zu leiten, war Ludwigs XV. Enkel Ludwig XVI.,
1774. der 1774 den gefährlichen Thron bestieg, nicht gewachsen. Er war zwar
persönlich ehrenhaft und hatte den besten Willen, die unhaltbaren Zustände
zu bessern, erwies sich aber als kraftlos und schwankend. Mit ihm war
Maria Antoinette, die junge, lebenslustige Tochter der Maria Theresia,
aus Politik vermählt worden; das aus dem Siebenjährigen Kriege
stammende unnatürliche Bündnis zwischen Frankreich und Österreich sollte
durch diese Vermählung eine neue Stärkung erhalten. Maria Antoinette
suchte sich, obgleich sie eine Feindin der Hofetikette war, in die fran-
zösifchen Verhältnisse einzuleben; doch blieb sie als Österreicherin den:
Volke ein unwillkommener Gast. Als Königin gab sie sich ihrem Hange
zu Aufwand und Vergnügungen ungezwungen hin, ohne zu bedenken, daß
sie dadurch ihren Verleumdern immer neuen Stoff bot.
Vergleiche Maria Antoinette itnb Elisabeth Charlotte, die Schwägerin Lud-
wigs XIV!
3. Beginn der Revolution. Ilm das Volk zu beschwichtigen und
Mittel zur Abhilfe der Geldnot zu erhalten, berief der König im Mai
1789. 1789 die seit 1614 nicht versammelten Stände (etats gen6raux), die
Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und der Städte, nach Versailles.
Der dritte Stand, der sechshundert Mitglieder zählte, so viel wie die
beiden andern zusammen, forderte gemeinsame Beratung und Abstimmung
nach Köpfen statt nach Ständen. Als diese Forderung nicht bewilligt
wurde, erklärte er sich als Nationalversammlung, und die Mitglieder
schwuren, nicht auseinanderzugehen, bis sie dem Lande eine neue Ver¬
fassung gegeben hätten.*) Ein großer Teil der Adligen und der Geist¬
lichen schloß sich dieser Versammlung an. Das einflußreichste Mitglied
*) Zu dieser ^eigenmächtigen Haltung trug die kleine aufreizende Schrift des
Abbe Sieyes (spr. siäs): „Qu'est-ce que le tiers etat?" viel bei. Er beantwortet in
dieser Schrift drei Fragen: Was ist der dritte Stand? Alles. Was ist er bisher
gewesen? Nichts. Was will er? Etwas sein.