Full text: Quellenlesebuch (Heft 5. Erg.-H)

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21. Belle-Alliance. 
Von Heinrich von Treitschke („Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert", 
I. Teil. 3. Aufl. Leipzig 1882, S. Hirzel). 
So verworren und unfertig die Doppelschlacht am 16. Juni verlaufen war, 
ebenso einfach großartig gestaltete sich der Gang der Ereignisse am 18. Wellington 
hatte mit Kennerblick eine feste defensive Stellung gewählt, wie er sie von Spanien 
her liebte. Sein Heer hielt auf einem langgestreckten Niedern Höhenzuge, der von 
Westen nach Osten streichend, etwa in der Mitte, bei dem Dorfe Mont St. Jean von 
der wohlgepflasterten Brüsseler Landstraße senkrecht durchschnitten wird. Auf diesem 
engen Räume von kaum 5000 Schritt Länge standen die Truppen dicht zusammen- 
gedrängt, mehr als 30 000 Deutsche, 24 000 Engländer, über 13 000 Niederländer, 
zusammen 68 000 Mann, auf der Rechten Lord Hill, im Zentrum der Prinz von Ora- 
nien, auf dem linken Flügel General Picton. Ein tief eingeschnittener, von Hecken 
eingefaßter Querweg lief die Front entlang. Im Rücken des Heeres fiel der Boden 
sanft ab, so daß die Mehrzahl der Regimenter dem anrückenden Feinde verborgen 
blieb; weiter nördlich lag an der Landstraße der lichte, von zahlreichen Wegen durch- 
zogeue Wald von Soignes, der für den Fall des Rückzugs eine gute Deckung bot. Der 
Herzog blieb während vieler Stunden im Zentrum bei Mont St. Jean; hier, unter 
einer Ulme, auf einer Bodenwelle neben der Landstraße konnte er fast die ganze Auf- 
stelluug überblicken und nach seiner Gewohnheit alles unmittelbar leiten. Einige 
hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Festung drei starkbesetzte 
Positionen: vor der Rechten das Schloß Goumont inmitten der alten Bäume seines 
Parkes, von hohen Mauern umschlossen; vor dem Zentrum an der Landstraße das 
Gehöfte La Haye Samte; vor dem äußersten linken Flügel die weißen Häusergruppen 
von Papelotte und La Haye. Die Straße fällt südlich von Mont St. Jean sanft ab, 
führt dann völlig eben durch offene Felder und steigt eine starke halbe Stunde weiter 
südlich, nahe bei dem Pachthofe La Belle Alliance, wieder zu einem andern niedern 
Höhenzuge empor, so daß das Schlachtfeld eine weite, mäßig eingetiefte Mulde bildet, 
die allen Waffen den freiesten Spielraum gewährt. 
Auf diesen Höhen bei Belle-Alliance stellte Napoleon sein Heer auf, Reille zur 
Linken, Erlon zur Rechten der Straße, dahinter bei Rossomme die Reserve; sein Plan 
war einfach, durch einen oder mehrere Frontalangriffe die Linien der Engländer zu 
durchbrechen, wo möglich an der schwächsten Stelle, auf ihrem linken Flügel. Da die 
nnsichem Feuerwaffen jener Zeit dem Angreifer erlaubten, mit ungebrochener Kraft 
nahe an den Verteidiger heranzngelangen, so hoffte der Imperator durch ungeheure 
Massenschläge den zähen Gegner niederzuringen. Seine Kriegsweise war während 
der letzten Jahre immer gewaltsamer geworden; heute vollends, in der fieberischen 
Leidenschaft des verzweifelten Spielers, zeigte er die ganze Wildheit des Jakobiners, 
ballte viele Taufende seiner Reiter, ganze Divisionen des Fußvolks zu einer einzigen 
Masse zusammen, damit sie wie die Phalangen^ Mexanders mit ihrem Elefantentritt 
alles zermalmten. So begann die Schlacht — ein beständiges Vordringen und Zu- 
rückfluten der Angreifer gleich der Brandung am steilen Strande —, bis dann das 
1 Mehrzahl von Phalanx = Schlachtreihe.
	        
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