Full text: Quellenlesebuch (Heft 5. Erg.-H)

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5. Das Kulturwerk Roms. 
Während Griechenland zusammenbricht, während Etrnsker, Sabeller, Osker 
und andre Völker am Mittelmeer, ohne zu ahnen, welches Los ihrer wartet, die Ge- 
schichte ihrer Kultur abwickeln, überragt ein Volk, das zum Beherrscher der Welt 
iverden sollte, das der Latiner, an Geist und Genie alle umliegenden Völker, und in 
kurzem wird Rom die Hauptstadt des kleinen latinischen Staates, fast wie durch ein 
Wunder zum Mittelpunkt einer bedeutenden Monarchie, die ihre Herrschaft über 
Unter-Etmrien und ganz Latium ausdehnt. Bald unterwirft es im Kampfe die ganze 
Halbinsel und bietet Karthago die Stirn: durch Widerstand wird Rom zur Riesin, 
durch Sieg unwiderstehlich — und Karthago fällt. Es fällt Korinth und mit ihm 
Mazedonien und Griechenland; und wie schon vorher Sizilien und Jllyrien gefallen 
waren, so fällt nun Spanien, dann Gallien, und dann auch der Orient; alles weicht 
vor dem römischen Volke, das ebenso tapfer im Kriege ist, wie groß und erfolgreich 
in seiner Politik. Und als nach langen, ruhmvollen Schicksalen das Römische Reich 
zusammenbricht, da geht Roms Werk nicht mit ihm unter, sondern es überlebt den 
Fall und läßt in allen neuen Verhältnissen die deutlichen Spuren seiner Einwirkung 
und seiner Macht zurück. 
Wäre es einem Cäsar vergönnt gewesen, seine großartigen Entwürfe durch¬ 
zuführen, die Einheit des Reiches auf festem Grunde aufzurichten, das römische 
Bürgerrecht auch auf die Provinzen auszudehnen und die Aristokratie dadurch ins 
Herz zu treffen, daß er den Senat erweiterte und neuen Kreisen zugänglich machte, 
so hätte ein starke, wohl abgewogene Regierung daraus hervorgehen können; die 
verschiedenen Kräfte würden sich auf ein Ziel gerichtet und jenes Durcheinander 
von Latinern, Jtalikern, Neuromanen, von Pnnizipialen, Kolonen, Provinzbe- 
wohnern sich zu einem großen Ganzen verschmolzen haben, zum Vorteil für die Frei- 
heit der Nation und die Zivilisation der Welt. Doch der Stahl der Verschworenen 
hatte ihn verhindert, jenen Bau einer volkstümlichen Monarchie auszuführen, der 
freilich auf den Ruinen der Republik erstehen sollte, aber der immerhin die einzige 
Regierungsform war, die für den Römischen Staat jener Zeit paßte. Augustus' Geist 
und Herz waren zu eng, als daß er das Werk Cäsars hätte vollenden können: es fehlte 
ihm die Fähigkeit oder die Größe des Gesichtspunktes, in die Obergewalt ein hemmen- 
des Element einzuführen, das ihm selbst und der Willkür seiner Nachfolger ein starker 
Zügel geworden wäre. So vermochten diese alles, was sie wollten; und wenn einige 
das Bessere wollten, so wollten andre, viele andre das Schlechtere. Tiberius zerstört 
die letzten Überreste von Freiheit und eröffnet die Tyrannis der Cäsaren, auf die — 
nach der kurzen, aber glänzenden Periode der Philosophen-Kaiser, während welcher 
(unter Trajan) die römische Macht ihren Gipfel erreicht — der Militärdespotismus 
und danach, mit Diokletian, der orientalische Despotismus folgt, dem schließlich die 
Barbaren mit dem Schwerte uud das Christentum mit der Forderung einer mora¬ 
lischen Wiedergeburt ein Ende bereiten. 
Unter der Gesamtheit von Ursachen, die dazu mitwirkten, den Sturz des Rö- 
mischen Reiches herbeizuführen, waren diese beiden, obschon in verschiedenem Grade, 
die hauptsächlichsten. Die Nationalreligion war gegen Ende der Republik in Verfall 
geraten, und die Bemühungen Augusts, sie als Element der Ordnung wiederzubeleben, 
blieben erfolglos. Eine auf den Glauben an einen einzigen Gott gegründete Religion 
kann — auch wenn sie aus Abwege geraten ist — auf ihre reine Grundform zurück- 
geführt werden, da ein fester Ausgangspunkt vorhanden ist. Aber die latinische, 
die der einheitlichen, festen Grundlage, wie der innern Moral ermangelte und der 
Vernunft sowohl, als den geistigen Anforderungen der bereits im Zeichen der Moderne
	        
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