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13. Anfänge deutscher Städte.
) die Tochterrechte von Freiburg i. B. waren, wieder Mutterrechte für ein ausgedehntes
Gebiet geworden. Die größte Zahl von Töchterstädten haben Lübeck und Magdeburg,
und zwar hauptsächlich im Gebiete des kolonisierten und germanisierten Slawen-
landes. Hier, wo wie auf einem kahlen Felde ein völliger Neubau zu errichten war,
verfuhr man sehr schematisch und nahm als Muster die beiden namhaftesten Plätze
an der Slawengrenze. Im eigentlichen Deutschland dagegen, mit seiner altem
Kultur, wo so viele Städte selbständig erwachsen und so viele Stadtrechte selbständig
entstanden waren, gehörte zu einem Mutterrecht stets ein kleinerer Kreis von Tochter-
rechten.
Bemerkenswerter noch als die bedeutende Vermehrung der Zahl der Städte in
dem geschilderten Zeitraum ist ihr inneres Wachstun:. Neben dem neunzehnten Jahr-
hundert bilden das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert unzweifelhaft die wichtigste
Epoche in der Geschichte der deutschen Städte. Im elften Jahrhundert treten sie
zum ersten Male hervor. In den beiden folgenden wird alles das begründet, was
bis in den Beginn der neuesten Zeit den Inhalt des Städtewesens ausmacht. Jetzt
schließen sich Handwerker und Kaufleute zu Zünften und Gilden zusammen. Jetzt
entstehen die Stadträte und die ganze Ratsverfassung. Jetzt werden die ersten Rat-
Häuser und Kaufhäuser errichtet. Jetzt beginnen die Städte mit den umfassenden
Maßregeln der innem Verwaltung. Dies ist die Zeit, in der die Hanse begründet
wird und in der sich der Verkehr der oberdeutschen Städte mit Italien befestigt. Am
anschaulichsten vielleicht wird uns die hohe Wichtigkeit der Epoche, wenn wir einen
Blick auf die äußere Ausdehnung der Städte werfen. Viele der damals vorhandenen
Orte haben ihren Umfang bis in den Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nicht
mehr oder nicht wesentlich erweitert; erst in nnsern Tagen ist die alte Umwertung
durchbrochen worden. Es würde das freilich nicht auffällig sein bei ganz kleinen
Orten, die etwa einer verfehlten Gründung ihren Ursprung verdanken. Allein gerade
auch namhafte Städte haben den Umfang, den sie im dreizehnten und etwa vier¬
zehnten Jahrhundert erreicht hatten, nicht überschritten. Im Laufe des zwölften
und dreizehnten Jahrhunderts ziehen sie zahlreiche Niederlassungen, die vor den
Mauern entstehen, und in der Nähe gelegene Dörfer in das städtische Rechtsgebiet
hinein und schieben so die Stadtmauer weiter vor; seitdem aber nicht mehr. Und
diese Erscheinung erklärt sich nicht bloß daraus, daß damals manche Plätze in der durch
die Befestigung umgrenzten Stadt unbewohnt blieben. Soweit eine Zunahme des
Umfangs sich in der Zeit vom dreizehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert beob-
achten läßt, handelt es sich hauptsächlich nur um zwei bestimmte Gruppen: um Städte,
die in späterer Zeit mit dem Steigen der landesherrlichen Gewalt und des landes-
herrlichen Einflusses als fürstliche Residenzen Bedeutung erlangt haben, und um Städte,
die erst nach oder am Ende des dreizehnten Jahrhunderts gegründet worden sind.
Man hat im Hinblick auf die Umwälzung, die das zwölfte und dreizehnte Jahr-
hundert hervorbringen, mit Recht von einer großen „volkswirtschaftlichen Revolution"
gesprochen. In der Tat gibt es, wie schon angedeutet, keine Periode in der deutschen
Geschichte, die so viel Neues schafft. Die Ursachen dieser neuen Erscheinungen liegen
zunächst in der innem Entwicklung Deutschlands. Die Bevölkerung war ständig ge-
wachsen. Der Anbau hatte sich immer weiter ausgedehnt. Im dreizehnten Jahr¬
hundert erreichte er schon einen gewissen Höhepunkt. Die Zahl der ländlichen Ort-
fchaften ist in Altdeutschland gegen damals bis in unsre Tage nicht mehr erheblich
gewachsen. Der wachsende Wohlstand und die wachsenden Bedürfnisse der länd¬
lichen Bevölkerung steigerten fortschreitend den Absatz der Waren, die der Städter