Die Periode des französischen Uebergewichts. 167
Deutschland einverstanden, sofern dieselbe seinem ausgesprochenen Grundsatze
gemäß war: „die Vorsicht gebietet den Völkern des europäischen
Centrums, nicht in so viele verschiedene Staaten ohne
Kraft und Volksgeist zerstückelt zu bleiben". - Hierbei
wurde der umsichtige Staatsmann selbst von der alten Besorgniß geleitet, daß
Rußland wie die amerikanische Union durch ihr rascheres An-
wachsen Europa binnen einem Jahrhundert mit schweren Gefahren bedrohen
könnten (vergleiche Napoleon's L Wort: „Europa werde in 50 Jahren repu-
blikanisch oder kosakisch sein!").
Napoleon HI., der die Erbschaft seines Oheims, Napoleon's I., An¬
fangs nur durch kleinliche Jntriguen zu gewinnen strebte, bis ihn das Schick-
sal hoch emportrug, hatte im Gegensatz zu jenem militärischen Machthaber
schon früh gelernt, sich den klar erkannten Verhältnissen anzuschmiegen; seine
Politik zeigt vor Allem den Vorzug, daß er, den seit 1815 sichtlich erstar-
kenden Nationalitäten gegenüber, die Napoleon I. noch nicht zu
würdigen vermochte, — die Berechtigung des National-Princips und das
Bedürfniß dauernder Friedenszustände vollständig anerkannte. Auf diese
Weise hoffte er nach dem Sturze des „Cäsar" Napoleon I. ein dauerndes
Kaiserreich gleich Augustus zu begründen, bei dem freilich die Freiheit der
Nation nur schwer bestehen zu können schien.
Von solchen Ideen geleitet hat er das übermüthige Rußland in
Schranken gewiesen, Italien gegen Oesterreich zur Selbständigkeit ver-
Holsen, Deutschland in seinem nationalen Aufschwung unter Preußens
Führung gewähren lassen, dem Welthandel, vor Allem durch seine Jnitia-
tive zu dem Fr ei Handelssystem einen mächtigen Aufschwung gegeben, —
immer auf die weltgeschichtliche Einsicht gestützt: „Je mehr die Welt sich
vervollkommnet, desto mehr Länder werden durch dieselben
Interessen vereinigt!"
Doch trafen auch feine Pläne nicht immer zum Ziele; so insbesondere
die Idee des Kaiserthums in Mexico. Italiens Aufstreben hielt er nur
teilweise in Schranken. In Deutschland blieb zwar die Ausbreitung des
Norddeutschen Bundes durch die Mainlinie beschränkt; bei der unerwarteten
Machtentfaltung Preußens aber ernannte der Kaiser schon im Oct. 1866
eine Commission zu einer Reform der Heeres-Organifation, und der preußen-
feindliche Niel (f 1869) trat als Kriegsminister ein. Erst 1868 (Jan.) be¬
willigte der gefetzgebende Körper — ohne daß die den Franzofen im Frieden
verhaßte allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde — die Vermehrung des
stehenden Heeres von 400,000 auf 800,000 Mann, neben welchem noch
400,000 Mann mobiler Nationalgarden (eine Art von Landwehr) errichtet
werden sollten. In Folge der Mißstimmung, welche die durch das Jahr
1866 bedrohete Machtstellung Frankreichs erweckte, ließ sich der Kaiser, der
die Ertheilung freierer Institutionen immer hingezögert hatte, schon im
Jan. 1867 zu mehreren Zugeständnissen bestimmen, hauptfächlich um dem