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Die Griechen.
Bildung der Hellenen und auf die Gebildeten aller Völker den größten
Einfluß geübt.
Den Übergang zur Lyrik bildete die ebenfalls bei den Jonern Klein-
asiens entstandene Elegie, eine betrachtende Dichtung in Distichen. Der
Hauptvertreter dieser Gattung war Hesiod, der im 8. Jahrhundert lebte.
Seine „Theogonie" behandelt die Abstammung der Götter und die Ent-
stehung der Welt, seine „Werke und Tage" geben außer allgemeinen Lebens-
regeln Anweisungen über Landwirtschaft und Hauswesen. Im 7. Jahr¬
hundert sandte Archilöchos von Paros seine sechsfüßigen Jamben nach
A. W. v. Schlegels Ausdruck „wie rasche Pfeile" gegen seine Feinde. Die
Äoler auf Lesbos bildeten die lyrische Strophe aus. In Mytilene, der
Hauptstadt dieser Insel, lebte Sappho, die größte der griechischen Dichterinnen,
eine Zeitgenossin Solons. Von ihren Gedichten ist ebensowenig erhalten,
als von ihrem Leben Sicheres bekannt. Sie war Vorsteherin einer „Museu-
schule", in der sich begabte Lesbierinnen durch Poesie und Musik in freier
Weise bildeten. Am Hofe des Polykrates in Samos und nach dessen Sturze
bei Hipparch in Athen hielt sich Anakreon auf. Der Liebe und dem
Wein ist seine Muse gewidmet. Bei den Dorern entstand die lyrische Chor-
Poesie: Tänze und Gebärden begleiteten die von einem Chore ge-
sungeneu Lieder. Ihren Höhepunkt erreichte diese Gattung um 500 in dem
Thebaner Pindar.
Von der Poesie unzertrennlich war die Musenkunst in des Wortes
eigenster Bedeutung, die Musik, die einen Hauptteil der Bildung aus-
machte. Kein Gastmahl, keine Festlichkeit gab es ohne Musik. Sogar der
Vortrag epischer Dichtungen wurde mit Saitenspiel auf der fiebensaitigen
Lyra oder der gleichfalls fiebensaitigen, aber größeren Kithara begleitet.
Deshalb beruhen die metrischen Gesetze der Griechen auf der musikalischen
Tonmessung, nach der eine lange Silbe gleich zwei kurzen gilt.
2. Die vorsokratische Philosophie. Verständnis der Natur, tiefer als
es der Volksglaube oder der Dichter zu bieten vermochte, und eine auf
Vernunft gegründete Weltanschauung war das Ziel griechischer Denker.
Kleinasiatische Joner forschten zuerst nach dem Ursprung der Dinge. Thales
von Milet, ein Zeitgenosse Solons, einer der „sieben Weisen" und der
„Vater der Philosophie", gelangte durch die Beobachtung des Wassers zu
der Annahme, dieses sei der Urstoff. Anaximander nahm einen unbestimm-
baren Stoff als den ursprünglichen an, Anaximenes hielt die Luft dafür'
Über die Lehre der ionischen Naturphilosophen von einem belebten
Urstoff gingen die Pythagoreer hinaus. Pythagoras wanderte aus
seiner Heimat Samos nach Großgriechenland aus und gründete in Kroton
einen Bund, dessen Mitglieder sich zur Aufrechterhaltung von Sitte und
Zucht verpflichteten. Wie im Leben erschien ihnen auch im Weltall Maß und
Ordnung als das oberste Gesetz; Maß und Ordnung aber lassen sich auf Zah-
lenverhältnisse zurückführen. Diese Erkenntnis führte zur Pflege der Mathematik.