Das Mittelalter.
2. Die Zeit der Karolingischen, sächsischen und fränkischen Kaiser.
§ 65. Karl der Große, 768—814. — I. Der Ausbau des Reiches.
1. Die Weltlage. König Pippin hatte das Frankenreich wieder zu
Macht und Ansehen erhoben und durch den Bund mit der Kirche die Auf-
gaben der folgenden Zeit angedeutet. Noch waren die Alemannen, Bayern
und Thüringer dem Reiche nur lose angegliedert, eine mäßige Abgabe war
fast das einzige Zeichen ihrer Abhängigkeit; die Langobarden und der starke
Stamm der Sachsen standen außerhalb des Reiches. Die nordischen Völker
lebten ganz ohne Verbindung mit dem Süden. Im Osten dehnte sich die
Slawenwelt aus. Au der mittleren und unteren Donau hatten sich Stämme
mongolischen Blutes, die den Hunnen nahestehenden Awaren und die Bul-
garen, niedergelassen. Auf der Balkanhalbinsel erhielt sich der Name eines
Römischen Reiches. Italien hatte es bis auf einige Küstenstriche den
Langobarden überlassen müssen, Syrien, Ägypten und die Provinz Afrika
den Arabern, die als neue Großmacht aufgetreten waren. Im Abendlande
hatte Karl Martell ihrem Vordringen Halt geboten; aber die Iberische
Halbinsel blieb in ihrem Besitz.
Heidentum, Christentum und Islam standen einander gegenüber. Die
Slawen waren noch völlig heidnisch; von den Germanen außerhalb des Frän-
fischen Reiches warnt Christen nur die Langobarden, Angelsachsen und West-
goten. Noch war es zweifelhaft, ob ihre Religion in Mittel- und Westeuropa
zum endgültigen Siege gelangen würde, als Pippins großer Sohn daranging,
die germanischen Stämme zu einem großen christlichen Reiche zu einigen.
2. Beginn der Sachsenkriege, 772. Im nordwestdeutschen Tiefland,
vom Rhein bis zur Elbe und Eider, saßen die Sachsen ohne staatliche
Einheit in Gauen, die unter Ältesten standen. Sie zerfielen in vier
Gruppen: die Engern, an der Weser, die West- und Ostsalen, in den
Ebenen westlich und östlich vom Wesergebiet, und die Nordalbinger,
nördlich von der unteren Elbe. Zäh wie an der Scholle hingen sie an den
alten Sitten und Gebräuchen und an dem alten Götterglauben. Schon
König Pippin hatte die Westfalen durch einen Feldzug zu einer Abgabe
genötigt, den sie in Pferden bezahlten, aber die Grenzfehden des kriegerischen
Volkes mit den Franken hörten nicht auf. Dadurch sah sich Karl 772 772.
veranlaßt, den Krieg zu beginnen. Er eroberte die feindliche Grenzfeste
Eresbnrg an der oberen Dientet und zerstörte ein nördlich davon gelegenes
Heiligtum, die Jrmiusül. Einige Gaue unterwarfen sich, Edelinge empfingen
die Taufe, und Karl ließ Besatzungen zurück, als ihn das Hilfegesuch des
Papstes nach Italien rief.