Rückblick.
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lich der aufgeklärte Absolutismus hat Großes geleistet, und seine
besten Vertreter haben nicht bloß sür das Wohl ihres Volkes, sondern für
den Fortschritt der ganzen Menschheit gewirkt. Er begann mit dem Auf¬
treten Friedrichs des Großen: die Fürsten lernten einsehen, daß nicht der
Staat für sie da sei, sondern sie für den Staat. Zugleich ging im Zu-
fammenhang mit dem ganzen Geistesleben ein Widerspruch gegen jede fürst-
liehe Alleinherrschaft vom Volke aus: in Frankreich tauchten neue Staatslehren
auf, die dem Volke die höchste Gewalt beilegten. Denn auch der uneigen-
nützigste Monarch huldigte dem Grundsatz: „Alles für, nichts durch das Volk!"
Das Deutsche Reich hatte aufgehört, ein lebendiges Staatswesen zu
sein. Fremde Mächte rissen ungestraft ein Glied nach dem anderen ab. Es
umfaßte zwei Großstaaten, die in natürlichem Gegensatz zueinander standen.
Während der südliche, dem die Leitung des Reiches oblag, seinen deutschen
Charakter mehr und mehr verlor, entwickelte sich der nördliche, der das
Glück hatte, die hervorragendsten Fürsten an seiner Spitze zu sehen, zu
einem rein deutschen Staat.
Das wirtschaftliche Leben stand im Zeichen des Merkantil¬
systems. Um den Vorrat an barem Gelde zu vermehren, suchten die
Regierungen Handel und Industrie zu heben. Sie erschwerten durch Schutz-
zölle die Einfuhr fremder Judustrieerzeuguisse, suchten für die des eigenen
Landes Absatzgebiete im Auslande und begünstigten die Einfuhr von Ge-
treibe und Rohstoffen. Sie verbesserten die Verkehrsmittel, riefen Handels¬
gesellschaften ins Leben, zogen geschickte Arbeiter ins Land und sorgten für
die Anlage von Fabriken, die durch weitgehende Arbeitsteilung und Spar¬
samkeit im Betriebe mehr leisten konnten als kleinere Werkstätten.
Im Geistesleben zeitigte das Streben nach tieferer philosophischer
und naturwissenschaftlicher Erkenntnis die „Aufklärung". Schon im
16. Jahrhundert hatte sich der geistige Gesichtskreis gewaltig erweitert. Die
durch das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges unterbrochene Fortsetzung
dieser Bewegung war die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die aber in
ihren letzten Erscheinungen Maß und Ziel aus deu Augen verlor.
Die Dichtkunst trieb in Frankreich reiche Blüten, solange sie von der
Sonne Ludwigs XIV. beschienen wurde. In der deutschen Literatur herrschte
die Nachahmung des Auslandes, bis zur 'Zeit Friedrichs des Großen der
alte Bann der Abhängigkeit brach und eine neue Blütezeit begann.
Zugleich entfesselte die deutsche Musik ihre Schwingen zu höherem
Fluge, ein beredtes Zeugnis, daß die Kraft und Tiefe des deutschen Gemütes
noch unverloren war. Auch die bildende Kunst, die sich von der Höhe
der Renaissance entfernt hatte, ging seit Winckelmanns Auftreten einer
hoffnungsvollen Zukunft entgegen.
In Sitte und Lebensweise war in ganz Europa, besonders in
Deutschland, der französische Einfluß nur zu mächtig. Das Zeitalter Lud-
wigs XIV. wirkte noch das ganze 18. Jahrhundert hindurch nach. Paris
war die Hauptstadt der Welt.