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auch ruhigeren Tones, seine Lebensweisheit darlegt. Nach der metrischen
Seite hin gebührt dem Dichter das Verdienst, die Lyrik in den schönsten
Formen, welche die Griechen entwickelt hatten, auf italischen Boden
verpflanzt zu Haben.
Die Römer ehrten Horaz als ihren besten Lyriker nicht ganz
mit Unrecht. Denn seine Trinklieder und Freundschaftsgedichte sind
kaum übertroffen worden, auch Lebensweisheit und Vaterlandsliebe
haben selten einen schöneren Ausdruck gefunden, aber im ganzen über-
wiegt bei ihm doch zu sehr der Verstand, während Gefühl und Phantasie
zurücktreten.
§ to. Die Satire, die Epistel, das Epigramm und die Habel.
Auf dem Gebiete der Batire hat sich die römische Poesie eine
von der griechischen unabhängige Stellung erworben.
Der Name Satire stammt von dem Adjektiv satur (satira —
satura) und bedeutet zunächst, mit (Ergänzung von lanx, eine Frucht-
schale, die mit allerlei Früchten angefüllt ist, oder eme Schussel auf
der verschiedene Opfergaben vereinigt liegen, dann mit bildlicher Uber-
tragung ein Gedicht von buntgemischtem, lehrhaftem Inhalt mit wech¬
selnder Form. (Ennius soll diese Dichtungsart bei den Nomern ein¬
gebürgert haben. Aber bald änderte sich ihr Charakter.
T. Lucilius, ein römischer Ritter, befreundet mit dem jüngeren
Scipio Africanus, unter dem er sich an dem Numantinischen Kriege
(133) beteiligte, spottete in witziger, oft scharfer ÜBeife> über' bte fehler
und Torheiten des politischen, literarischen und gesellschaftlichen Lebens
[einer Zeit. An die Weise des (Ennius erinnerte in seinen satirarum
libri triginta nur noch die Nlannigfaltigkeit der Form, die zwar meistens
Herameter, aber auch jambische und trochäische Verse zeigte.
Seit Lucilius blieb der polemische Charakter für die Satire
bestimmend. Die Hauptschriftsteller dieser Richtung sind Horaz, Persius
und Iuvenal. ^ , <
Horaz bekämpft in seinen Satiren, deren Form er auf den
Hexameter beschränkt, in heiterm Plaudertone sittliche Verkehrtheiten
oder doch Schwachheiten und Lächerlichkeiten der damaligen Jett oder
der Menschen überhaupt. (Er hat auf diesem Gebiete der Poesie fem
Bestes geleistet. Dasselbe gilt von der verwandtenx) Gattung der
(Episteln, in denen die verschiedensten Beziehungen des Lebens, besonders
des literarischen, in den Kreis der Betrachtung gezogen werden.
Während Horaz lachend die Wahrheit sagt, rügt A. Persius
Flaccus (34-62 n. Chr.), ein Jüngling aus edlem Rittergeschlechte,
begeistert für die sittlichen Anschauungen der Stoiker, mit tiefem (Ernst
die Verderbnis seiner entarteten Zeit. Wir besitzen von ihm 6 Satiren.
Auch Decimus Iunius Iuvenalis, der sich unter Domitian
(81-96) der satirischen Poesie widmete, wird von Unmut über die
i) Beide. Satiren wie Episteln, nennt Horaz auch Sermonen, weil sie
an den gebildeten Gesprächston des Lebens anklingen»