Die Völkerwanderung und die germanischen Staaten.
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Norden her in das römische Reich einzudringen. Der
Grund, warum sie ihre bisherigen Wohnsitze verlassen wollten,
war nicht Wanderlust und Sucht nach Abenteuern, sondern Über-
völkeruug in der Heimat und die daraus entspringende Landnot.
Gegen Ende des vierten Jahrhunderts wurden die Ost-
germauen, zu denen die Stämme der Goten, Vandalen,
Geplden und Burgunder gehörten, durch den Einfall der
Hunnen so sehr eingeengt, daß sie ihre Wohnsitze in den weiten
Tiefebenen östlich der Oder räumten und auszogen, um sich anderswo
niederzulassen.
Die Hunnen stammten wahrscheinlich aus dem östlichen Asien
und waren mongolischer Abkunft. Sie waren Menschen von kleiner
Gestalt und häßlichem Aussehen. Tag und Nacht brachten sie auf
ihren unansehnlichen, aber ausdauernden Pferden zu.
Der erste germanische Stamm, auf den sie bei ihrem wilden
Zug nach Westen stießen, waren die östlich vom Dnjestr wohnenden
Ostgoten. Diese unterlagen 375 im Kampfe den Hunnen und
mußten ihnen Heeresfolge leisten.
Die etwa im heutigen Rumänien sitzenden Westgoten, welche
darauf bedrängt wurden, suchten dem Ansturm auszuweichen und
erhielten zum Teil vom oströmischen Kaiser Valens Wohnsitze im
heutigen Bulgarien angewiesen. Da sie hier von der Habgier der
römischen Statthalter schwere Bedrückungen zu erleiden hatten,
machten sie einen Aufstand. Der Kaiser Valens, der herbeieilte,
um sie wieder zum Gehorsam zu nötigen, verlor gegen sie 878
die Schlacht bei Adrianopel und ward selbst im Kampfe ge-
tötet. Sein Nachfolger Theodosius schloß mit ihnen einen Vertrag
und nahm sie als Bundesgenossen ins römische Reich auf.
Als aber Theodosius gestorben war (895) und Arkadius, der
neue Herrscher von Ostrom, die Westgoten unfreundlich behandelte,
griffen sie unter ihrem jungen, heldenmütigen König Altrich aufs
neue zu den Waffen und durchzogen verheerend die griechische
Halbinsel. Zu Anfang des fünften Jahrhunderts fielen sie in
Italien ein, und im Jahr 410 eroberte Alarich sogar Rom.