Full text: Die Neubildung der europäischen Kulturwelt durch Christentum und Germanentum (Hauptteil 2)

Die Germanen. 
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meinschast^) oder, wenn auf verschiedene Dörfer verteilt, als Mark- 
genossenschaft^) nahe beieinander wohnten. Mehrere verwandte 
oder benachbarte Dorf- bzw. Markgenossenschaften hatten in der Regel 
einen Gau (pagus) inne, mehrere Gaue schlössen sich dann zu einer selb- 
ständigen Völkerschaft (civitas) zusammen. Neben dieser örtlichen Ein- 
teilung gab es von jeher auch eine persönliche, die vornehmlich Heeres¬ 
und Gerichtszwecken diente. Nach ihr zerfiel eine Völkerschaft in Tausend- 
s ch a f t e n (vgl. die römischen Tribus), eine Tausendschast wieder in 
Hundertschaften (vgl. die römischen Centurien); näher bekannt^) sind nur 
die Hundertschaften (als spätere Unterabteilungen der Gaue). Sie um- 
faßten ursprünglich wohl je 100 Familien, bzw. deren erwachsene freie 
Männer, bildeten im Kriegsfall kleine geschlossene Tmppenkörper, regelten 
im Frieden die Verteilung der Ackerflur, soweit diese Gemeinbesitz der 
betreffenden Hundertschaften war, und übten in Verbindung mit dem 
Gaufürsten die Rechtspflege innerhalb ihrer eigenen Kreise. 
An der Spitze eines Gaues stand der Gaufürst (furisto — der Vor¬ 
derste) oder Häuptling. Er stammte meist aus adeligem Geschlechte, wurde 
auf Vorschlag der Gaugenossen in der Völkerschaftsversammlung auf Lebens- 
zeit gewählt, hatte den Vorsitz bei den Gau- und Hundertschaftsgerichten 
und befehligte im Kriege den Heerbann, d. h. das bewaffnete Aufgebot 
des Gaues. Die Einkünfte des Fürsten bestanden im Ertrage seines Grund 
besitzes, in einem bestimmten Anteil an der Kriegsbeute und an den Straf 
geldem sowie in freiwilligen Geschenken der Gaubewohner. — Die öffent¬ 
lichen. Angelegenheiten einer Völkerschaft fanden ihre Erledigung durch 
den aus sämtlichen Gaufürsten bestehenden Fürstenrat; minder 
wichtige Dinge entschied er selbständig, besonders ernste unterbreitete 
er zur Beschlußfassung der allgemeinen Völkerschaftsoersammluug. Um 
im Kriegsfall eine einheitliche Leitung zu erzielen, stellte man den tüchtigsten 
der Gaufürsten als Herzog (vgl. den griechischen ßaadevg und den römi¬ 
schen praetor) an die Spitze der Völkerschaft; doch erlosch sein Amt mit 
Beendigung des Krieges. — Bei den ostgermanischen Stämmen, in der 
1) Doch war die reine Geschlechterverfassung schon in der Zeit des Tacitus mit 
einer lokalen vermischt, d. h. in einer Dorf- oder Markgenossenschaft wohnten nicht aus- 
schließlich unmittelbare Blutsverwandte beieinander; es trat also die Verwandtschaft 
hinter die Nachbarschaft zurück. 
2) Das Wort „Mark" bedeutet zunächst „Grenze", d. h. einen unbebauten breiten 
Grenzstreifen, dann später das von der Grenze umschlossene oder das an der Grenze 
liegende Gebiet. 
8) Die Nachrichten über die politischen Verhältnisse der alten Germanen sind sehr 
unsicher und lückenhaft; wahrscheinlich fiel nach der Seßhaftmachung die persönliche 
Gliederung mit der örtlichen insofern zusammen, als die Völkerschaft jeder Tausendschaft 
einen Gau, diese wieder jeder Hundertschaft eine Mark zuwies.
	        
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