IV. Mittelalter,
A. Urgeschichte und Völkerwanderung.
96. Woher stammen unsere Kenntnisse von den Germanen
bis zum Beginn historischer Kunde?
Unsere Kenntnisse von den Germanen bis zum Beginn
historischer Kunde stammen a) aus der vergleichenden und
geschichtlichen Sprachforschung, b) aus den Überresten vor¬
geschichtlichen Lebens. (Vgl. Frage 14.)
Zu a) Die vergleichende Sprachforschung (Begründer
Franz Bopp f 1867) lehrt uns das ursprüngliche Verwandt¬
schaftsverhältnis der Germanen mit anderen Völkern kennen:
Indogermanische Völkergruppe; Bestandteile Inder, Iranier,
Armenier, Griechen, Italiker, Kelten, Germanen, Slaven,
Littauer. Urheimat vielleicht Südrußland. [Forschungs¬
methode: Erschließung einer in den Wortwurzeln erkennbaren
Ursprache durch Vergleichung urverwandter Wörter.] — Die
geschichtliche Sprachforschung (Begründer Jakob Grimm
t 1863) lehrt uns die Verwandtschaftsverhältnisse der Stammes¬
gruppen innerhalb der Germanen erkennen: Erste Haupt¬
teilung Westgermanen einerseits, Ostgermanen (Goten) und
die ihnen verwandten Nordgermanen (Skandinavier) ander¬
seits. — Teilung des .Westgermanischen in Angelsächsisch
(Englisch), Friesisch, Niederdeutsch und Hochdeutsch. [For¬
schungsmethode: Beobachtung der Gesetze der Sprachver-
änderung (Lautverschiebungen).]
Da die einzelnen Völkern oder Stammesgruppen gemein¬
samen Worte darauf deuten, daß auch die bezeichneten Dinge
den betreffenden Völkern oder Stämmen gemeinsam waren,
so läßt die vergleichende und geschichtliche Sprachforschung
auch eine Vermutung über den Kulturzustand zur Zeit der
Sprach- oder Dialekttrennung zu. Beispiel: Vieh, Herde,