Vorrede. XIII 
unverheirathet. Eine yutfituirte Familie von mittlerem Lebensalter ohne Berus 
und bindende Beschäftigung findet in Heidelberg bald gesellschaftlichen Umgang, 
wenn sie sich darum bemüht. Der längere oder kürzere Aufenthalt ausgezeichneter 
Fremden aus allen Ländern in der reizenden und interessanten Neckarstadt er¬ 
leichtert den geselligen Verkehr und führt Gleichgestellte zu einander. So war 
denn das englische Haus in der Vorstadt bald ein beliebter und belebter Ort 
gesellschaftlicher Unterhaltung. Auch einzelne Familien aus den Universitätskreisen 
waren nicht spröde oder zurückhaltend. Denn damals gab es noch keine englische 
Colonie von gemischter Physiognomie in Heidelberg. Aus dem britischen Namen 
lag noch etwas von dem Zauber und dem günstigen Vorurtheil, der in jedem 
Englishman einen Lord erblickte und in früheren Jahren ihm allenthalben Thür 
und Thor öffnete. Ich selbst freilich konnte mich nur wenig an den Soireen 
und Tanzunterhaltungen betheiligen; dazu fehlten mir die Zeit, der Sinn und 
die Eigenschaften und Erfahrungen einer gesellschaftlichen Salonbildung. Dennoch 
lernte ich Manches, das mir in meinem weiteren Leben zu statten kam, und da 
in der Familie nur englisch gesprochen ward, so eignete ich mir diese Sprache 
in einiger Vollkommenheit an. 
In diesem Verhältniß blieb ich vom Jahr 1830, wo die Julirevolution, die 
Cholera und die Polenauswanderung die deutsche und die Heidelberger Welt in 
gewaltiger Erregung hielten, bis zum Herbst 1833, meistens mit Privatstudien 
in den frühen Morgenstunden und tief in die Nacht hinein beschäftigt; doch 
besuchte ich auch einige Vorlesungen, besonders die geschichtlichen von Chr. Fr. 
Schlosser, mit dem ich von der Zeit an in nähere Verbindung kam, eine Ver¬ 
bindung, die auf meinen weiteren Bildungsgang bestimmend einwirkte. Diese 
drei Jahre in dem schönen Heidelberg gehörten zu den bedeutungsvollsten und 
inhaltreichsten meines Lebens. Nach außen waren sie still und einförmig; die 
Tage verstrichen zwischen Unterricht und Studium, nur wenig unterbrochen durch 
Spaziergänge in der sreien Natur, durch kleine Reisen, durch körperliche Uebungen. 
Wirthshäuser wurden von mir nie besucht; geselligen Umgang ließen Studien 
und Unterrichtsstunden nur spärlich zu. Desto reicher und vielseitiger gestaltete 
sich das geistige Leben. Jetzt erst war ich in der Lage, mich dem Drang nach 
Wissenschaft, der bis dahin ungestillt geblieben, mit ganzer Lebenskraft hinzugeben. 
Ich las fast alle griechischen und römischen Klassiker in chronologischer Ordnung 
und machte es mir dabei zur Ausgabe, nach der Beendigung eines Buches oder 
eines größeren Abschnittes oder poetischen Stückes aus dem Gedächtnisse den 
Inhalt und Gedankengang niederzuschreiben und alles Neue und Merkwürdige 
sofort zu notiren, ein Verfahren, das ich auch später bei neueren Geschichtswerken 
einhielt. Dieses Verfahren hatte den doppelten Vortheil, daß ich mir einen 
Vorrath von geschichtlichem Material erwarb, der mir jederzeit zu Gebote stand, 
und sodann, daß ich mich gewöhnte, einen umfangreichen Stoff nach den Haupt¬ 
momenten in kurzer, präciser Sprache zusammenzufassen, einen ereignißvollen 
Zeitraum in großen Zügen zur übersichtlichen Anschauung zu bringen. Was 
ich damals bei den Griechen und Römern begonnen, habe ich dann an den 
italienischen, französischen, englischen und deutschen Historikern fortgesetzt. Gibbons 
großartiges Werk habe ich in verschiedenen Perioden zweimal von Anfang bis
	        
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