§. 675. von der Reformation bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. 157
begünstigte er die Intriguen eines seiner Neffen mit einer kaiserlichen Hofdame und wurde
deshalb einige Zeit auf einer Donauinsel in Gefangenschaft gehalten, ein Mißgeschick, das
den Inhalt einer seiner schönsten Canzonen bildet. Nach seiner Freilassung zu höherer
Gunst aufsteigend, begleitete er den Kaiser auf dem Feldzug gegen Tunis und kehrte an
Kopf und Arm verwundet über Sicilien und Neapel in die Heimath zurück, wie er uns
in einer am Fuße des Aetna gedichteten Elegie belehrt. Im nächsten Jahr 1536 stand er
mit dem kaiserlichen Heer in der Provence. Da erhielt er bei dem Angriff auf einen
Thurm unweit Frejus an den Kopf einen Steinwurf, der nach einigen Tagen seinen Tod
in Nizza herbeiführte, in einem Alter von 33 Jahren. Während dieses kurzen vielbewegten
Lebens fand der hochbegabte Kriegsmann und Dichter noch Muße zu poetischen Arbeiten
im Geiste der Italiener, eines Petrarca, Bembo, Sannazaro n. a., zu Sonetten, Can¬
zonen, Elegien, welche die süßeste Weichheit der Empfindung mit dem reinsten Wohlklang
der Sprache verbinden. Er gehört zu den beliebtesten und bewundertsten Lyrikern des
spanischen Volks.
Ein dritter Mitstreiter um den Dichterlorbeer war Fernando de Acuna. von einem
edlen portugiesischen Geschlechte aber in Madrid geboren und erzogen, ein Freund und
Gesinnungsgenosse von BoscLn und Garcilaso und mit letzterem auch noch durch die gleiche
militärische Laufbahn verbunden. Wenn er ein französisches Ritterbuch über die Thaten
und Lebensschicksale Karls des Kühnen: „der entschlossene Ritter“ in allspanischem Vers¬
maße übersetzte, so folgte er hierin nur dem Aufträge und den Wünschen des Kaisers;
denn sein Sinn und Geschmack war ganz der italienischen Poesie zugewendet. Er dichtete
Sonette und Canzonen, besang in reimlosen Versen den „Streit des Ajax und Ulysses"
mit homerischer Einfachheit und übersetzte italienische Dichter ins Spanische.
Niemand hat mehr zum Siege des italienischen Geschmacks in Spanien beigetragen als
Diego Hurtado de Men d o za, den wir schon oben als Geschichtschreiber kennen gelernt, ein
Mann, der den von seinen erlauchten Ahnen ererbten Ruhm durch eigene Thaten, Ver¬
dienste und hervorragende Eigenschaften bedeutend vermehrt hat, von dem es streitig bleibt,
ab er mehr als gewandter Staatsmann, Diplomat und Krieger oder mehr als Gelehrter,
Dichter und Historiker ausgezeichnet war. Der jüngste von fünf Brüdern wurde Men-
doza dem geistlichen Stande bestimmt und erhielt eine gelehrte Erziehung in Salamanca.
Aber schon hier bewies er, daß seine Natur nicht für die Kirche angelegt war. Seine
berühmte Jugendarbeit „Lazarillo de Tormes", noch in Salamanca ausgearbeitet, verräth
nach keiner Seite einen geistlichen Autor.
Der Roman Lazarillo de Tormes ist ein angeblich selbstgeschriebenes Leben eines armen
Knaben, der in einer Mühle an den Ufern des Tormes bei Salamanca geboren, von einer
rohen Mutter verlassen, die Höhlen des Elends und Lasters, der Schelmerei und Schurkerei
durchwandert, im Dienste bei verschiedenen Herren Hunger und Noth aussteht, alle Fehler, Thor¬
heiten und Verbrechen kennen lernt, selbst alle Arten von Lüge und Verschlagenheit, von Hinter¬
list und Betrügerei sich aneignet, bis er sich zuletzt mit der Haushälterin eines Domcapitulars
verheirathet und häuslich niederläßt. Der Lazarillo, eine satirische Schilderung aller Stände
und Lebensverhältnisse des castilischen Volks, gab den Anstoß zu jener Gattung von Romanen,
die unter dem Namen Pica rische oder Schelmenromane (bet Gusto picaresco) ihren Lauf
durch die Weltliteratur machten. „Das Buch ist in sehr kühnem, reichem und echt castilischem
Stile geschrieben, der uns oft an die Celestina erinnert. Einige Schilderungen gehören zu den
frischesten und anschaulichsten, welche man unter allen prosaischen Dichtungen finden kann, so
frei und lebendig, daß zwei davon, die vom Mönch und vom Ablaßkrämer, bald von der
Kirche gerügt und in den mit ihrer Genehmigung gedruckten Ausgaben ausgelassen wurden.
Der ganze Roman ist kurz; aber dessen leichte geistreiche Haltung, die treue Beobachtung spa¬
nischen Lebens und spanischer Sitten, und der Gegensatz der leichten, heiteren und biegsamen
Frechheit Lazarillo's selbst, eine dem Dichter ganz eigenthümliche Schöpfung, zu der feierlichen,
unbeugsamen Haltung alter castilischer Naturen, machten ihn gleich von Anfang an äußerst
beliebt." Das Buch wurde nicht nur durch viele Ausgaben in Spanien selbst rasch verbreitet,
es wurde auch im Auslande vielfach übersetzt und nachgeahmt und im Lause der Jahre erschie-
Acukia
t 15S0.
Mendoza
1503-1575.