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Zustand der Cultur und Literatur
§. 684.
»tttfarb
Waldis
t nach 1556.
Weisheit im Gewände der Thorheit auftreten zu lassen und den Werth höherer humanistischer
Bildung und aufgeklärter Religiosität zu zeigen. Fischart „übergießt darin nach einander mit bei¬
zender Lauge die Thorheiten der Genealogien und Stammbäume, die Schwelgerei und die Trunk¬
sucht, die Kleiderpracht und unvernünftige Kindererziehung, die suberkluge Gelehrsamkeit, die
Händel- und Prozeßsucht und so fortan; alles in den lebendigsten, wahrsten, wärmsten Gestalten,
voll des frischesten, unmittelbarsten Lebens". Auch die witzige Satire auf die damalige Mode der
Astrologie, des Nativitätsstellens, des Prognosticirens und Kalendermachens, die unter folgendem
Titel herauskam: „Aller Praktik Großmutter, das ist, die dickgebrockte pautagruelische betrugdicke
Prockdick oder Pruchnastikatz, Laßtafel, Bauernregel und Wetterbüchlein, auf alle Jahr und Land
gerechnet und gericht, durch den wohlbeschickten Mänsstörer Winhold Alcofribas Wüstblutus von
Aristophans Nebelstatt", ist dem Rabelais nachgebildet.
*) Der Titel lautet: Affentheuerliche Naupengeheuerliche Geschichtklitterung. Von Thaten und Nahten der vor
kurtzen Langenweilen volln wol beschreiten Helden vnd Herren Grandgusier Gargantua vnd Pantagruel, Königen
inn Utopien vnd Nienenreich. Etwan v. M. Rabelais französisch entworfen; nun aber vberschrecklich lustig inn ein
teutsches Model vergossen vnd Ungefährlich obenhin, wie man den Grindigen laußt vertuet durch Huldrich Elloposeleron
(ollops Fisch und scleros hart) Reznem <Menzer).
3) Eine Reihe von satirisch-didaktischen und polemischen Schriften, wovon wir folgende her¬
vorheben : a) Flohhatz, Weiber Tratz*), eine niedrig-komische Satire voll witziger und
treffender Wortbildungen (z. B. die Namen der Flöhe Pfetzsilind, Zwickst, Zupssikek u. ct.), neu
geschaffener Sprichwörter und gewandter Rettn- und Wortspiele. Unter den vielen komischen
Zügen liegt die Lehre, daß sich Niemand über seinen Stand erheben solle.
*) „Der Wunder vnrichtige und spottwichtige Rechtshandel der Flöh mit den Weibern, vermehrt mit dem Lobe der
Mücken und des Flohes Strauß mit der Laus" u. s. w. — Ein Floh klagt der Mücke sein Leid wegen der Verfolgung
der Weiber; der Rechtshandel kommt vor Jupiter, die Weiber vertheidigen sich und erhalten ein günstiges Urtheil.
Dieses von Derbheiten und Natürlichkeiten strotzende Schriftchen wurde von den lachlustigen Zeitgenossen mit der größten
Begierde gelesen.
b) Die burlesk-satirischen Schriften gegen die Mönchsorden und Jesuiten („Jesuwider,,
die Schüler des Ignaz Lugiovoll"), wobei er den Franciscaner Johann Nasns in Ingolstadt,
einen gewesenen Schneidergesellen, zum Stichblatt seines Witzes machte. Dahin gehören: „d a 8
vierhörnige Jesuiteuhütleiu", „der Barfüßer Sekten- und Kuttenstreit" (worin
Fischart die gereimte Erklärung eines Holzschnittes voll Laune und reicher Composttion gibt, wie
der heilige FranciscnS von den Stiftern der verschiedenen Secten seines Ordens, den Capuzinern,
Minoriten, Observanten rc. gemartert und zerrissen wird); ferner der Bienenkorb, eine
Umarbeitung au« dem Holländischen, dessen Inhalt und Sprachwitz man wieder aus dem Titel
ersehen kann *):
*) Bienenkorb des J>. tötn. Jmenschwatms, seiner Hummelzellen oder.Himmelszellen, Hurnaußnäster, Btämenge.
schwutm und Wäspengetoß. Sampt Läuterung des H. töm. Äirchen Honigwaben; Einweihung und Betäuchetung oder
Fegfeuetung der Jmenstöcke, und Etlesung der Bullenblumen. der Dekretenkreuter. des Heydmschen Klostethysops, der
v (^ksuitet) Säudisteln, der Saurbonischen Saubohnen des Magisnostrischen Liripipesenchels und des Jmenplatt<
J «2ttmen •' ^ks Meßthaues u. H. Sassts von Wunderbäumen cet. cet. alles nach dem rechten Himmelsthau
oder Manna justirt und mit Mentzeikletten durchziert. Durch Jesuwalt Pickhatt u. s. w.
4) Das Eheznchtbüchlein, eine satirisch-didaktische Schrift, in welcher sich neben vielen
komischen und scherzhaften Zügen auch eine treffliche Abhandlung über Haus- und Familienleben
befindet. In dieser schildert der größte deutsche Satiriker „mit Zartheit und Freifinnigkeit das
Glück und den Frieden des häuslichen Lebens, die stille Eingezogenheit, die unermüdliche Thätig¬
keit, die ruhige Milde der wahren Hausfrau." — Wie Fischart in dem Eheznchtbüchlein das Ver¬
hältniß der Ehegatten zu bessern sucht, so in seiner: „Anmahnung zu christlicher Kinder¬
zucht", das Verhalten der Eltern zu den Kindern. Auch in dieser kleinen Schrift sind goldene
Worte enthalten. 5) Podagrammisch Trostbüchlein*).
*) Podagrammisch Ttostbüchlein. Jmihaltend Zwo nrtlicher Schutz Reden von herrlicher Abkunft, Geschlecht. Hof.
Haltung, Nutzbarkeit vnd tifgciuchtem Lob des Hochgeehrten, Glidermächtigen vnd zarten Fräuleins Podagra. Nun
erstmals zu kitzeligem tröst vnd ergezung andächtiger Pfolengrammischer Personen, oder Handkrämpsigen vnd Fusversttick-
a 1577 " 19 6nt> watIcr "n Hund auf dem Lotterbelk) bossirt und publicirt durch Huldrich Elloposeleron
§. 684. Thierfabel. Gleich dem Reinecke Fuchs wurde auch die äsopische
Thierfabel in dem Reformationszeitalter auf die Zustände der Gegenwart in Kirche
und Staat angewendet. Der Erste, der sich mit Erfolg damit befaßte, war Burkard
Waldis, ein gelehrter, in der alten und neuen Literatur belesener und durch große Reisen
praktisch gebildeter Mann voll gesunder Ansichten, Charakterstärke und patriotischer Ge»
{Innung. Er benutzt die Fabel, um die Selbstsucht, die ihm die Quelle alles Uebels