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Zustand der Cultur und Literatur
§. 690.
bildet der Lustspieldichter Weise; denn wie jener sich zu einem unnatürlichen Pathos versteigt, so
sinkt dieser oft in den gemeinen Ton der Volksdichtung herab. Allein wie sehr auch zuweilen
in Weise's Lustspielen und Possen die Derbheit und rohen Witze verletzen, so muß man es doch
billigen, daß er wieder zur Natur zurückkehrte, die steife Kunstsorm und Regelmäßigkeit der-
schmähte und seine Studien im Leben, nicht im Buche machte.
. Innig befreundet mit Gryphius, wenn gleich von entgegengesetztem Charakter, war Christian
1617-79. Hoffmann von Hoffmannswaldau, Rathsherr in Breslau. Hoffmann war eben so heiter
und lebensfroh wie Gryphius schwermüthig und ernst. Seine Liebeslieder „Heldenbriefe"
(Heroiden, oder Briefe von Liebenden in Ovids Manier) sind fließend und elegant, wenn gleich
nicht ohne Leichtfertigkeiten und Unzüchtigkeiten; Frohsinn und Lebensgenuß, hie und da mit
Lüsternheit verbunden, sprechen sich in seinen Gedichten aus, die zum Theil, da er wenig Ehr.
geiz besaß, ohne sein Zuthun von seinen Freunden herausgegeben wurden. Uebrigms leidet
Hoffmannswaldau, wie Lohcnstein und die meisten Dichter der zweiten schlesischen Schule
(Asmann von Ab sch atz, Christ. Gryphius, Sohn des Andreas) an Schwulst, Uebertreibung
und Künstelei, die sich besonders in gesuchten und abgeschmackten Bildern und Beiwörtern kund
geben und von ihren italienischen und französischen Vorbildern entlehnt sind.
In den Gedichten von Opitz und seinen Nachahmern traten Verstand und Witz an die Stelle
der Phantasie und Empfindung. Dies führte natürlich zur epigrammatischen Dichtung,
wo eine Anekdote mit einer witzigen Wendung (Pointe) eben so gebraucht wird, wie in der
didaktischen Poesie die Fabel mit der moralischen Nutzanwendung. Der bedeutendste, aber erst
von den folgenden Geschlechtern erkannte und gewürdigte Epigrarnmendichter dieser Zeit ist
1604—55. Friedrich von Logau, in dessen Sinngedichten sich Witz, gesunde Lebensansichten und ein
freier Geist aussprechen. Sein Freimnth äußert sich besonders in den mannichfachen Beziehungen
und Anspielungen auf die damaligen öffentlichen Zustände und Sitten. — Satiren betrachtete
man nur als erweiterte Epigramme. In dieser Gattung zeichneten sich neben Andreas
Gryphius aus: Wilhelm Lanrenberg aus Rostock durch seine in hohem Alter verfaßten
vier Scherzgedichte im Volkston und Plattdeutscher Sprache und Joachim Rachel. Laureu-
berg's Satiren, in denen er „die Veränderlichkeit in allen menschlichen Dingen und das Nichtige
des Modeweseus der Zeit" (die Kleidertracht, die Sprachmeugerei, die neumodische Dichtung
n. dergl.) lächerlich macht, sind reich an Mutterwitz, Lebenserfahrung und gesunden Ansichten. —
1618-69. ®er Satiriker Rachel aus Schleswig steht an Correctheit und Regelmäßigkeit der Form und
an feiner und verständiger Beobachtung eben so weit über Lanrenberg, als er an Natur und
Lebendigkeit hinter ihm zurückbleibt.
§.690. Simplicissimus. Philander von Sittewald. Der dreißigjährige Krieg
hatte bei Manchem einen großen Glückswechsel und eine Umkehrung seiner bisherigen Verhält¬
nisse zur Folge; mancher Arme wurde reich, mancher Bauernsohn stieg durch Kriegsthaten zu
Rang und Reichthum auf, indeß mancher Edelmann zum Bettler wurde, und mancher Wohl¬
habende sein Vermögen verlor. Nach Beendigung des Kriegs durchzogen Massen von Soldaten
als Landstreicher, Vagabunden und Räuber das Land, führten ein ausschweifendes Leben und
ergaben sich den rohesten Genüssen der Sinnlichkeit. Diese Zustände der Wirklichkeit gaben
Veranlassung zu den in Spanien zuerst ausgebildeten Picarischen oder Schelmenromanen,
wobei ein Abenteurerleben, Uebergäuge aus den niedrigsten Ständen in die höchsten, eine freie
Mischung von Vornehm unb Gering und ein vertrauter Verkehr zwischen Herr und Knecht den
Mittelpunkt bilden. Die Helden sind Glücks- oder Unglückskinder, die aus den untern Ständen
empor oder aus den obern herabgekommen, in der Welt umhergeworfen werden, alle Lebens¬
verhältnisse durchmachen, sich durch Schelmereien an« bedrängten Lagen helfen, durch die Noth
klug und gewürfelt, aber selten weise werden. Die Denkwürdigkeiten des Hans von Schwei«
Thr. " l ch e n, der am Ende des sechszehnten Jahrhunderts als Abenteurer im Reiche umherzog, fön-
». Gnmmrlr. nen als erstes Beispiel dieser Gattung gelten. Berühmter ist der Simplicissimus von
lGreifenson) b" ®r m e *6 5 a u s e u, genannt Samuel Greifenson von Hirschfeld
9+Vi6765' Ahausen, gest. zwischen 1673 und 1683 als Amtmann zu Renchen im Schwarz-
wald m dem das ganze Leben jener Zeit mit Witz, Laune. Lebendigkeit und heiterer Gemüth-
ltchlett dargestellt ist. 0
fcci ie©0tn«11eif,16^* et3^U' ist .d" Soim einer Bauern au» dem Spessart, der durch die Gräuel
°m Hause getrennt und von emem Einsiedler auferzogen wird. Dann kommt «in da» Hau»