182 
Zustand der Cultur und Literatur 
§. 690. 
bildet der Lustspieldichter Weise; denn wie jener sich zu einem unnatürlichen Pathos versteigt, so 
sinkt dieser oft in den gemeinen Ton der Volksdichtung herab. Allein wie sehr auch zuweilen 
in Weise's Lustspielen und Possen die Derbheit und rohen Witze verletzen, so muß man es doch 
billigen, daß er wieder zur Natur zurückkehrte, die steife Kunstsorm und Regelmäßigkeit der- 
schmähte und seine Studien im Leben, nicht im Buche machte. 
. Innig befreundet mit Gryphius, wenn gleich von entgegengesetztem Charakter, war Christian 
1617-79. Hoffmann von Hoffmannswaldau, Rathsherr in Breslau. Hoffmann war eben so heiter 
und lebensfroh wie Gryphius schwermüthig und ernst. Seine Liebeslieder „Heldenbriefe" 
(Heroiden, oder Briefe von Liebenden in Ovids Manier) sind fließend und elegant, wenn gleich 
nicht ohne Leichtfertigkeiten und Unzüchtigkeiten; Frohsinn und Lebensgenuß, hie und da mit 
Lüsternheit verbunden, sprechen sich in seinen Gedichten aus, die zum Theil, da er wenig Ehr. 
geiz besaß, ohne sein Zuthun von seinen Freunden herausgegeben wurden. Uebrigms leidet 
Hoffmannswaldau, wie Lohcnstein und die meisten Dichter der zweiten schlesischen Schule 
(Asmann von Ab sch atz, Christ. Gryphius, Sohn des Andreas) an Schwulst, Uebertreibung 
und Künstelei, die sich besonders in gesuchten und abgeschmackten Bildern und Beiwörtern kund 
geben und von ihren italienischen und französischen Vorbildern entlehnt sind. 
In den Gedichten von Opitz und seinen Nachahmern traten Verstand und Witz an die Stelle 
der Phantasie und Empfindung. Dies führte natürlich zur epigrammatischen Dichtung, 
wo eine Anekdote mit einer witzigen Wendung (Pointe) eben so gebraucht wird, wie in der 
didaktischen Poesie die Fabel mit der moralischen Nutzanwendung. Der bedeutendste, aber erst 
von den folgenden Geschlechtern erkannte und gewürdigte Epigrarnmendichter dieser Zeit ist 
1604—55. Friedrich von Logau, in dessen Sinngedichten sich Witz, gesunde Lebensansichten und ein 
freier Geist aussprechen. Sein Freimnth äußert sich besonders in den mannichfachen Beziehungen 
und Anspielungen auf die damaligen öffentlichen Zustände und Sitten. — Satiren betrachtete 
man nur als erweiterte Epigramme. In dieser Gattung zeichneten sich neben Andreas 
Gryphius aus: Wilhelm Lanrenberg aus Rostock durch seine in hohem Alter verfaßten 
vier Scherzgedichte im Volkston und Plattdeutscher Sprache und Joachim Rachel. Laureu- 
berg's Satiren, in denen er „die Veränderlichkeit in allen menschlichen Dingen und das Nichtige 
des Modeweseus der Zeit" (die Kleidertracht, die Sprachmeugerei, die neumodische Dichtung 
n. dergl.) lächerlich macht, sind reich an Mutterwitz, Lebenserfahrung und gesunden Ansichten. — 
1618-69. ®er Satiriker Rachel aus Schleswig steht an Correctheit und Regelmäßigkeit der Form und 
an feiner und verständiger Beobachtung eben so weit über Lanrenberg, als er an Natur und 
Lebendigkeit hinter ihm zurückbleibt. 
§.690. Simplicissimus. Philander von Sittewald. Der dreißigjährige Krieg 
hatte bei Manchem einen großen Glückswechsel und eine Umkehrung seiner bisherigen Verhält¬ 
nisse zur Folge; mancher Arme wurde reich, mancher Bauernsohn stieg durch Kriegsthaten zu 
Rang und Reichthum auf, indeß mancher Edelmann zum Bettler wurde, und mancher Wohl¬ 
habende sein Vermögen verlor. Nach Beendigung des Kriegs durchzogen Massen von Soldaten 
als Landstreicher, Vagabunden und Räuber das Land, führten ein ausschweifendes Leben und 
ergaben sich den rohesten Genüssen der Sinnlichkeit. Diese Zustände der Wirklichkeit gaben 
Veranlassung zu den in Spanien zuerst ausgebildeten Picarischen oder Schelmenromanen, 
wobei ein Abenteurerleben, Uebergäuge aus den niedrigsten Ständen in die höchsten, eine freie 
Mischung von Vornehm unb Gering und ein vertrauter Verkehr zwischen Herr und Knecht den 
Mittelpunkt bilden. Die Helden sind Glücks- oder Unglückskinder, die aus den untern Ständen 
empor oder aus den obern herabgekommen, in der Welt umhergeworfen werden, alle Lebens¬ 
verhältnisse durchmachen, sich durch Schelmereien an« bedrängten Lagen helfen, durch die Noth 
klug und gewürfelt, aber selten weise werden. Die Denkwürdigkeiten des Hans von Schwei« 
Thr. " l ch e n, der am Ende des sechszehnten Jahrhunderts als Abenteurer im Reiche umherzog, fön- 
». Gnmmrlr. nen als erstes Beispiel dieser Gattung gelten. Berühmter ist der Simplicissimus von 
lGreifenson) b" ®r m e *6 5 a u s e u, genannt Samuel Greifenson von Hirschfeld 
9+Vi6765' Ahausen, gest. zwischen 1673 und 1683 als Amtmann zu Renchen im Schwarz- 
wald m dem das ganze Leben jener Zeit mit Witz, Laune. Lebendigkeit und heiterer Gemüth- 
ltchlett dargestellt ist. 0 
fcci ie©0tn«11eif,16^* et3^U' ist .d" Soim einer Bauern au» dem Spessart, der durch die Gräuel 
°m Hause getrennt und von emem Einsiedler auferzogen wird. Dann kommt «in da» Hau»
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.