Neueste Geschichte.
A. Die Völker und Staaten Enropa's von Stiftung des
heiligen Bundes bis zur Julirevolution.
1. Politik. Kirche. Literatur.
§. 951. Die heilige Allianz. Durch die Revolution und Napoleons
Militärherrschaft waren die höchsten Schichten der Gesellschaft, die im gewöhnlichen
Lauf der Dinge von den äußern Wechselfällen des Lebens wenig betroffen werden,
von harten Schicksalsschlägen heimgesucht worden. Eine tiefere Betrachtung der
ganzen Revolutionsbewegung von ihrer Quelle bis zu ihrer endlichen Beruhigung
deutete auf das Walten einer hohem Macht hin, die jedes frevelhafte Trachten, jedes
vermessene Selbstvertrauen zu Falle bringt. Religiöses Gefühl kehrte in die Herzen der
Menschen zurück und bewirkte in den hohem Kreisen, daß Frömmigkeit unv christlicher
Glaube bald ebenso die Oberhand erlangten, wie früher Zweifelsucht. Unglaube und
Freigeisterei. Durchdrungen von diesem Gefühle schlossen die drei verbündeten Monarchen,
Kaiser Alexander, der damals unter dem Einfluß der religiös-schwärmerischen
Frau von Krüdener stand, König Friedrich Wilhelm von Preußen und Kaiser-
Franz von Oesterreich, vor ihrem Abgang von Paris denheiligenBund, dem dann
alle europäischen Mächte beitraten, mit Ausnahme des praktisch-klugen Englands und des
hinter seine rechtgläubige Ausschließlichkeit sich bergenden Papstes. Frankreich wurde
nach dem Congreß von Aachen, wo es die Räumung seiner Festungen von den
fremden Truppen erlangte, in den Bund aufgenommen. In diesem, ohne Rücksicht auf
Confessionsunterschiede geschlossenen heiligen Bunde gelobten die drei Herrscher, „gemäß
den Worten der heiligen Schrift, die allen Menschen befiehlt sich als Brüder zu lieben,
durch die Bande der wahren und unauflöslichen Bruderliebe verbunden zu bleiben, sich
stets Beistand und Hülfe zu leisten, ihre Unterthanen als Familienväter zu beherrschen,
die Religion, den Frieden und die Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Sie betrachten sich
nur als Glieder einer und derselben christlichen Religion, von der Vorsehung beauftragt,
die Zweige Einer Familie zu regieren. Sie fordern alle Mächte auf, die gleiche Grund¬
sätze anerkennen, diesem heiligen Bunde beizutreten". — Durch diese Allianz, wonach
somit die europäische Staatenwelt nur eine große Familie, die christliche Bruderliebe für
Fürsten und Unterthanen das höchste Gesetz, und die Handlungen der Politik mit den
Vorschriften des Religions- und Sittengesetzes ausgeglichen sein sollten, suchte man dem
Staatsleben eine christlich-religiöse Grundlage zu geben, that aber dem Christenthum
Gewalt an, indem man dasselbe zum Träger der monarchischen Form in möglichster
Unbeschränktheit machte, nicht beachtend, daß die Religion des Evangeliums mit allen
Staatsformen bestehen kann, und suchte weniger die christliche Moral, als die religiöse
Gläubigkeit und äußere Frömmigkeit zu fördern. Mochten auch bei dem weichen, für das
Hohe und Gute nicht unempfänglichen und freisinnigen Ideen ergebenen Kaiser A l ex and e r
und bei dem gemüthvollen, frommen König Friedrich Wilhelm religiöse Motive und
edle Vorsätze zum Grunde gelegen haben, so gab dagegen der Beitritt des prosaischen,
26. Scpt.
1815.
Oktober
1818.