— 265 -
politik durch das wiedererwachende Volksbewusstsein einen
mächtigen Stoss. Italien und Deutschland gingen allmählich
einer grösseren nationalen Einigung entgegen. Der alte deut¬
sche Bundesstaat wurde durch die Gründung des norddeutschen
Bundes (1866) aufgelöst, und durch die Uebertragung der
deutschen Kaiserwürde an den König von Preussen (1871)
wurde eine starke deutsche Kriegsmacht und eine feste Eini¬
gung Deutschlands geschaffen. — Die Geschichte der neuesten
Zeit lässt sich in zwei Theile zerlegen:
I. 1815—1848, bis zur Pariser Februarrevolution. Die
Wiener Verträge werden im Allgemeinen aufrecht erhalten,
und die Regierungen suchen im Innern die absolute Monarchie
nach Kräften zu sichern. Oesterreich und Russland üben einen
entscheidenden Einfluss auf die Verhältnisse der europäischen
Staaten aus.
II. 1848 bis jetzt. Die Wiener Verträge werden man¬
nigfach erschüttert. Frankreich behauptet bis zum J. 1866
ein moralisches Uebergewicht in allen Fragen der äusseren
Politik. In den meisten europäischen Staaten bricht sich die
constitutionelle Verfassung Bahn.
I. Von dem Wiener Congress bis zur französischen
Februarrevolution, 1815—1848.
1. Deutschland bis zum Jahre 1830.
§. 68. Die meisten deutschen Regierungen suchten den
13. Artikel der Bundesakte, wonach in allen deutschen Staaten
eine landständische Verfassung bestehen sollte, dadurch zu
erfüllen, dass sie die alten Landstände wieder herstellten. Eine
freiere Verfassung führte zuerst der Grossherzog Karl August
von Sachsen-Weimar in seinem Lande ein. Bald folgten Baiern,
Baden, Würtemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau und die kleinen
sächsischen Fürstentümer diesem Beispiele. Indess alle diese
freisinnigen Verfassungen in den süd- und mitteldeutschen
Staaten befriedigten nicht das Verlangen des deutschen Volkes
nach einer grösseren politischen Einigung. Hatten die deut¬
schen Stämme bei der Niederwerfung Napoleons gezeigt, was
sie vereinigt vermöchten, so fühlte man jetzt um so mehr die