IV. Das Zeitalter der religiösen Kämpfe.
1519 — 1648.
Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.
Mittelalter nnb Neuzeit.
§ 107. Das Leben des Mittelalters wird beherrscht und DieGenosseu
gekennzeichnet durch das Vorwalten genossenschaftlicher Ver- Mittelalters
bände. Wenn das Altertum den Staatsbegriff als den alles beherr¬
schenden ausgebildet hatte und der antike Mensch in erster Linie Bürger
des Staates gewesen war, so erschien dem Mittelalter der einzelne
Mensch zuerst als Glied einer Genossenschaft: auf der Zugehörigkeit
zu ihr beruhte seine rechtliche Stellung; sie beherrschte ihn, ordnete
sein Verhalten, umgab ihn mit regelnden Schranken; aber sie sorgte
zugleich für ihn und förderte seine Interessen. Solche Genossenschaften
sind die Stände, die Lehnsverbände, die das Wirtschaftsleben be¬
herrschenden Markgenossenschaften, Kaufmannsgilden und Zünfte, die
kirchlichen Genossenschaften und die Kirche selbst. Wie sie in das
Lebendes Individuums allenthalben beschränkend eingriffen, so über¬
wucherte die reiche Mannigfaltigkeit der ständischen und genossen¬
schaftlichen Sonderbildungen den Staat und untergrub seine Wirk¬
samkeit; der Staatsbegriff, einst dem römischen Kaisertum entnommen
und daher universal, kam dem Mittelalter beinahe abhanden.
Keine Genossenschaft aber hatte sich mächtiger entfaltet als die Mem»
Kirche. Die Kirche hatte um die Erziehung der mittelalterlichen Kirche .*
Völker die allergrößten Verdienste; sie hatte ein Evangelium der Liebe
verkündet, sie war nicht müde geworden, die Selbstsucht des natür¬
lichen Menschen durch die Predigt der Demut und Entsagung zu
bekämpfen und ihn auf das Jenseits hinzuweisen, sie hatte die Armen-
und Krankenpflege in großem Maßstabe getrieben, sie hatte den Sonn¬
tag geheiligt, war ein Vorbild gewesen in'der wirtschaftlichen Boden¬
nutzung, hatte die wissenschaftlichen Studien und den wissenschaftlichen
Unterricht gepflegt, sie hatte Kunst und Kunsthandwerk gefördert und
entwickelt. Aber wie sie das Leben des Menschen von der Wiege