Der Erzgebirge?. 69
Den zweiten Rang nimmt auf dem erzgebirgischeu Küchenzettel der Kaffee
ein. Neben der Kartoffelschüssel dampft regelmäßig dreimal täglich die Kaffee-
kanne auf dem Tische, und ein Fläschchen mit Kaffee begleitet den Bergmann
in die finstere Tiefe; für viele Taufende von Männern, Frauen uud Kindern
ist er wochenlang das einzige Getränk. Und was für ein Gemisch ist dieser Kaffee!
Vom wirklichen Kaffee hat er wenig mehr als den Namen, denn er wird meistens
ganz oder fast ganz aus Zichorien, Möhren, Gerste und dergleichen gebraut;
„aus sechzehn Tassen fünfzehn Bohnen", sagen die Frauen scherzhaft. Man
erwartet nicht, daß er stark sei, sondern die Hauptsache ist die gehörige Menge;
denn der Erzgebirger vermag eine unbegrenzte Zahl „Schälchen" zu trinken.
Ist die Kost schon zu gewöhnlichen Zeiten sehr gering, so wird sie es noch
viel mehr in Zeiten einer Mißernte und des Daniederliegens der Industrie.
Dann tritt der traurigste Notstand ein, und Hungersnöte haben daher das Erz-
gebirge häufig heimgesucht, in ihrem Gefolge der Hungertyphus, der z. B. in
Geyer mehrmals und noch 1358 —1860 in dem großen Dorfe Gelenan nördlich
von Thum wütete. ,Zu solchen Zeiten ist der arme Erzgebirger in seiner Hilf-
lofigkeit auf die Unterstützung der Regierung uud auf die Mildthätigkeit wohl-
habenderer Gegenden angewiesen. Die neue Zeit greift mit ihren reichen Mitteln
auch in solche Zustände mildernd ein; sie werden schneller erkannt und energischer
bekämpft, die Hilfe kommt rascher, und vor allem bemüht man sich, die Quellen
der Übelstände zu verstopfen.
Der erzgebirgifche Menschenschlag ist im ganzen nur ein mittlerer
und fast immer hagerer. Die wenig kräftige Nahrung, der Mangel an rüstiger
Bewegung im Freien, die gebückte Haltung bei der fortwährenden Arbeit in der
Stube und in unreiner Luft wie die Hungerjahre haben der Jndustriebevölkerung,
welche doch die große Maffe ausmacht, vielfach den Stempel der körperlichen
Dürftigkeit aufgedrückt. Für sie ist daher der Militärdienst ein wahrer Segen;
der blasse, magere Weber ist als Soldat in der Regel schon nach wenig Monaten
ein ganz andrer Mensch geworden. Die Mädchen sind meist zarte, zierliche
und geschmeidige Gestalten; leider heiraten sie oft viel zu früh, und unter den
harten Sorgen und Entbehrungen altern sie sehr zeitig. Daß die bäuerliche Be-
völkerung und diejenigen, welche ihre Arbeit im Walde, in Steinbrüchen u. s. w.
zum Aufenthalte in freier Luft zwingt, sich eines kräftigeren Körperbaues uud
eines gesünderen Aussehens erfreuen, ist natürlich, und ihnen gesellen sich
die Hammerschmiede und andre zu, die mehr stehend arbeiten und dabei sich
stärker bewegen.
Die bleichen, mageren Gesichtszüge sind aber durchweg intelligent; selbst
unter dem landwirtschaftlichen Gesinde begegnet man nur selten einem stumpfen,
nichtssagenden Gesichte. Ein Gespräch, das der Wanderer mit einem Erzgebirger
anknüpft, gibt ihm bald die Überzeugung, daß der Spiegel der Seele ihn nicht
betrogen hat; denn es zeigt sich ein verständiger, offener Sinn, ein gesundes
Urteil und Interesse nicht bloß für die Heimat, fondern auch für die Ferne.
„Die Erzgebirger", sagt Berthold Sigismund in seinen „Lebensbildern vom
sächsischen Erzgebirge", „verhüllen ihr Inneres so wenig mit Vorhängen und
Fenstern, als ihre Wohnzimmer; aber so leicht sie den Einblick in ihr Inneres
gestatten, so klar und frei schauen sie hinaus in die Welt." Das enge Zu-
sammenwohnen gewöhnt sie von Jugend auf, sich zu geben, wie sie sind, und