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Das Zeitalter der Zerstörung des alten und der Entstehung des neuen Reichs.
Schicksal traf das flüchtige Heer beim Übergang über die von Eisschollen
Bercsina erfüllte B e r e s i n a. Zwar gelang es Schiffbrücken zu schlagen, über welche
trotz der feindlichen Angriffe die Truppenteile, die noch Waffen trugen und
in Reih und Glied marschierten, hinübergeführt wurden; der ungeordnete
Rest aber kam zumeist teils in den Fluten, teils durch die Kanonen Der
Russen, teils durch die Kälte um. Geringe Reste des Heeres retteten sich
in kläglichem Aufzuge nach Preußen. Der Kaiser selbst eilte über Warschau
und Dresden nach Paris. Der Welt verkündete er den Untergang der
großen Armee durch das 29. Bulletin, das mit den Worten schloß: „DieH
Gesundheit Seiner Majestät ist nie besser gewesen."
§ 212. Die Konvention von Tauroggen und die ostpreußische Er¬
hebung. Auch der linke Flügel der großen Armee hatte den Rückzug ange-
Vork. treten. Indessen erhielt ber preußische General von Jork Anträge der
Russen, von den Franzosen abzufallen und zu ihnen überzugehen. Jork
war ein eisenfester Soldat, oft schneidend schroff und rücksichtslos, aber von
unbedingter Ehrenhaftigkeit und Entschlossenheit. Auf wiederholte An¬
fragen in Berlin erhielt er ausweichende Antworten; in der Tat war der
König noch nicht in der Lage, einen entscheidenden Entschluß zu fassen. Da
handelte er auf eigene Hand. Am 30. Dezember 1812 unterzeichnete er in
Äon»o"t,on^cr Mühle zu P of cherun bei Tauroggen mit den russischen Bevoll-
soDezembernächtigten einen Vertrag, wodurch das preußische Korps für neutral erklärt
1812. wurde. Dem König meldete er seinen Entschluß. „Ich erwarte sehnsuchts¬
voll den Ausspruch Ew. Majestät, ob ich gegen den wirklichen Feind vor¬
rücke, oder ob die politischen Verhältnisse erheischen, daß Ew. Majestät mich
verurteilen. Beides werde ich mit treuer Hingebung erwarten, und ich
schwöre Ew. Königlichen Majestät, daß ich auf dem Sandhaufen ebenso ruhig
wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugel er¬
warten werde. Ich bitte daher Ew. Majestät um die Gnade, bei dem Urteil,
das gefällt werden muß, auf meine Person keine Rücksicht nehmen zu lassen.
Auf welche Art ich sterbe, ich sterbe immer wie Ew. Majestät allerunter¬
tänigster und getreuester Untertan Dork."
Endung Die nächste Folge der Tat Aorks war, daß die Franzosen über die
preußenk. Weichsel zurückgingen. Wenige Wochen später erschien in Königsberg als
russischer Bevollmächtigter der Freiherr vom Stein. Auf seinen Antrieb
wurden die Stände der Provinz berufen; und diese bewilligten in opfer¬
mutiger Begeisterung die Aushebung von Truppen, um das Dorksche Korps
zu verstärken, und die Aufstellung einer Landwehr. So begann der
deutsche Befreiungskrieg.