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1. Quellen der Geschichte.
Die Geschichte der Baukunst, der Bildhauerkunst, der Malerei in den einzelnen
Ländern lesen wir aus den Werken dieser Künste selbst, freilich nicht immer lückenlos;
wir bedürfen gleichzeitiger schriftlicher Ergänzungen.
An der Schauseite des jetzigen Archiv- und Bibliothekgebäudes zu Aachen sehen
wir die Steinbildnisse von 7 Fürsten; drei in geistlicher, vier in weltlicher Tracht. Die
Bildnisse stammen aus der Zeit Richards von Cornwall. Wir ersehen daraus, daß
Kaiser Karl IV. in der Goldnen Bulle kein neues Wahlrecht schuf, sondern bestehende
Befugnisse von 7 Fürsten gesetzlich festlegte.
Pflüge, Eggen und sonstige landwirtschaftliche Geräte aus demselben Zeitabschnitt
unterrichten über den damaligen Stand der Landwirtschaft. Die Schmuckgegenstände,
die durch die Ausgrabungen in Ägypten, in der Mesopotamie des Euphrat und Tigris,
in Griechenland, in der Ebene von Troja zutage gefördert worden find, geben ein
Bild von der Entwicklung der Kleinkunst der Völker, die vor 1000 und mehr Sommern
vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung jene Gegenden bewohnt haben.
Im Münster zu Aachen hängt ein großer kupferner Kronleuchter an einer 22 m
langen Kette, ein Geschenk Friedrich Barbarossas. Schaut man an der Kette hinauf,
so scheint jedes Glied dem andern gleich zu sein. So genau hat der Schmied die
notwendige Vergrößerung der folgenden Glieder berechnet und nicht minder genau
die Berechnung mit dem Hammer durchgeführt. Wir haben das Werk eines Meisters
der Schmiedekunst vor uns. In den Kunstgewerbemuseen der Städte finden sich
zahlreiche Proben der einzelnen Handwerkserzeugnisse der verschiedenen Völker und
Jahrhunderte. Die Museen sind überhaupt ergiebige Fundstätten für anschauliche
geschichtliche Belehrung.
Auch die Kirchen sind derartige Fundstätten. Wandteppiche, Stickereien, Gefäße,
Geräte aus Metall, Holzschnitzereien, Statuen, Wandgemälde, Glasgemälde, Boden¬
belag, alle diese Dinge können dem, der ihre stumme Sprache zu deuten weiß, als
Geschichtsquellen dienen.
Wie längst verschollene Völker sich gekleidet, wie sie Haus und Herd bestellt, wie
sie sich belustigt und wie sie getrauert haben, wird durch bildliche Darstellungen
bekundet.
Noch weit mehr bereichern die geschriebenen Quellen unsre Kenntnis.
Von den Völkern des Altertums sind so viele schriftliche Zeugnisse ihres Wirkens
vorhanden, daß wir die wesentlichen Momente ihrer politischen Geschichte zusammen¬
stellen können. Zum Teil sind es Inschriften. Die Ägypter haben ihre Säulen,
Gebäude, Obelisken, Särge, die Wände ihrer Grabkammern, kurz alles, was sich
beschreiben ließ, mit einer Bilderschrift bedeckt, deren Entzifferung gelungen ist.
Desgleichen hat der Spaten in der Euphrat- und Tigrisebene zahllose Keilinschriften
zutage gefördert. Auch diese Zeichen hat man entziffert, aber erst den kleinern
Teil der Inschriften für die Forschung nutzbar gemacht.
Die Rechtsverhältnisse der Babyloner zu der Zeit, wo Abraham in das Jordan¬
land zog, sind auf einer Steinsäule eingegraben. Diese Säule hat man nicht in
Babylon, sondern in der Ebene der ehemaligen persischen Hauptstadt Susa gefunden,
zugleich mit vielen andern Steindenkmälern aus dem Babylonischen Reiche. Wir
ersehen daraus, daß das Perservolk, als es erobernd in die Mesopotamie eindrang,
nicht nur Schätze, sondern sogar die Steinarchive, die die Ruhmestaten des be¬
siegten Volkes melden, als Beute mitgeführt haben; so wie später Napoleon und
andre Eroberer die ägyptischen Obelisken, Sphinxe usw. als Siegesbeute in die
Heimat übergeführt haben.