Full text: Für die unteren Klassen höherer Lehranstalten, den Lehrplänen entsprechend (Teil 1, [Schülerband])

Deutsche Volks- und Heldensage. 
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Walther mit Hildegunde nach Aquitanien. Dort herrschte er 
nach seines Vaters Tode noch dreißig Jahre als weiser Völkerhirt, 
ob seiner Tapferkeit genannt Walther mit der starken Hand. 
152. König Rother. 
König Rother. Gedicht aus dem 12. Jahrh., herausg. von H. Rückert. Leipzig 1872. 
Über dem Wesimeere saß König Rother in der Stadt zu Bare 
<Bari in Apulien). Von hier schickte er seine Boten, sieben Söhne 
des alten Berchtung von Meran und fünf reiche Grafen, nach Kon¬ 
stantinopel, wo sie des Königs Konstantin Tochter für ihn werben 
sollten. Als sie bereit sind, abzusegeln, läßt Rother sich seine Harfe 
an den Strand tragen und greift eine Weise, die so holdselig war, 
-— wer sie einmal hörte, der behielt sie lebenslang. Dann sprach 
er zu den Boten: „Kommt ihr je in Not, so laßt euch diese Weise 
trösten; denn wo ihr sie erklingen hört, da wißt, daß ich nicht fern 
bin." So fahren die Gesandten hin. Jahr und Tag vergehn, und 
die Boten kehren nicht zurück. Konstantin, der jede Werbung um 
seine Tochter verschmäht, hat sie in den Kerker geworfen, wo sie 
weder Sonne noch Mond sehen. Als Rother dies erfährt, geht 
ihm das Schicksal seiner treuen Boten härter zu Herzen als der 
üble Erfolg seiner Botschaft; er berät sich mit dem alten Berchtung 
und kommt zu dem Entschlüsse, in Weise eines Recken mit nur 
kleinem Gefolge übers Meer zu fahren, sich dort Dietrich zu nennen 
und vorzugeben, er sei von König Rother vertrieben und komme 
als Flüchtling, Schutz zu suchen. Die Fahrt wird ins Werk gesetzt. 
Außer Berchtung begleitet den König Asprian, den kein Rotz trägt, 
mit zwölf riesenhaften Mannen, unter denen der grimmigste, Widolt 
mit der Stang, wie ein Löwe an der Kette geführt und nur zum 
Kampfe losgelassen wird. Bei den Griechen angekommen, zieht 
Rother, jetzt Dietrich geheißen, vor Konstantin und bittet ihn um 
Schutz, wofür er ihm zu dienen verspricht. Als er Aufnahme ge¬ 
funden hat, läßt er so großen Reichtum blicken und wirkt solche 
Wunder der Milde, daß ihm nicht nur alle Dürftigen im Lande 
hold sind, sondern auch viele tausend griechische Ritter in sein Gefolge 
treten, weil sie es da besser haben als bei dem kargen Könige. Dieser 
muß aber auch von seiner Gemahlin den stündlich schwerer lastenden 
Vorwurf hinnehmen, daß er seine Tochter nicht eben weggeworfen 
hätte, wenn sie einem Könige vermählt worden wäre, der so reiche 
und gewaltige Helden wie diese Flüchtlinge habe vertreiben können. 
Die Tochter selbst brennt vor Begierde, den Mann zu sehen, von
	        
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