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I. Das Zeitalter der Reformation.
1) Die Zeit der kirchlichen Reformen.
§. 78. Überblick -er staatlichen Zustände. Karl V. (1519 bis
1556) war Herr der Niederlande, Spaniens, Neapels und Siciliens, der spanischen
Kolonieen in Amerika und Westindien; die habsburg-österreichischen Staaten über¬
ließ er später seinem Bruder Ferdinand; nach Maximilians Tode deutscher
Kaiser, strebte er dahin, der mittelalterlichen Idee des Kaisertums als einer über
dem Papsttum stehenden und alles umfassenden Macht..neue Geltung zu verschaffen.
Darum war er ein Feind der Reformation, die theils mit der städtischen Bürger¬
freiheit, theils mit dem Streben der Landesfürsten nach selbständiger Herrschaft
gemeinsame Sache machte; an ihm fand der neue Geist der Zeit den mächtigsten
Widersacher, und doch zeigte auch er sich als ein Sohn seiner Zeit; denn diplo¬
matische Klugheit, Verschwiegenheit und Treulosigkeit waren die Seele seiner Re¬
gierung. Gleichzeitig mit ihm herrschte in Frankreich Franz I. (1515— 1547),
in England Heinrich VIII. (1509 —1547), beide durch ihren ritterlichen Geist
dem Mittelalter angehörend, aber zugleich der neuen italienischen Bildung zugethan;
ihre Gemütsart stand in einem Gegensatz zu dem bedächtigen, vorsichtigen Wesen
Karl's. Franz I., der nach der deutschen Kaiserkrone gestrebt hatte, Neapel wieder
den Franzosen zu gewinnen suchte und im Besitz von Burgund zu bleiben strebte,
fand in Karl seinen geborenen Gegner; so wurden denn die Kämpfe gegen Frank¬
reich von besonderer Bedeutung für die auswärtige Politik Karl's. Durch die
Schlacht von Marignano (1515) gegen Maximilian I. war Franzi. Herr von
Mailand, Genua und einem Theil der Lombardei geworden. Als Karl V. die
deutsche Kaiserkrone erlangte (1519), machte er die alten Hoheitsrechte über Ober-
Italien geltend. Erster Krieg (1521 — 1526): Mit Hilfe der deutschen Lands¬
knechte (Frundsberg, Schärtlin), außerdem von Venedig, vom Papst und
vom König von England unterstützt, erreichte er bald die Wiedereinsetzung Ssorza's
als Herzog von Mailand; Genua ward eingenommen, die Franzosen über die Alpen
zurückgedrängt (1521). Trotzdem währte der Krieg, in dem auch der tapfere
Bayard fiel, bis 1525. Den Sieg erreichte Karl vorzugsweise dadurch, dass
er in Karl von Bourbon, einem der reichsten und mächtigsten Herren in Frank¬
reichs einen vorzüglichen Anführer gewann. In der Schlacht von Patna (1525)
wurde Franz selbst zum Gefangenen gemacht und durch den Madrider Frieden
(1526) genöthigt, allen Ansprüchen auf Mailand zu entsagen und Burgund heraus-
* zugeben. Aber der Papst, der Italien von der spanischen Herrschaft Befreien wollte,
entband ihn seines Eides; zwischen dem Papst, den Königen von England und
Frankreich und mehreren italienischen Fürsten ward die heilige Liga geschlossen,
um die kaiserliche Macht in Italien zu brechen. So entstand der zweite Krieg
(1527 —1529). Die protestantischen Deutschen verbanden sich aus Hass gegen
den Papst mit Karl; die deutschen Landsknechte und die Spanier erstürmten
unter der Anführung Bourbon's Rom (1527) und hausten schrecklich in
der eroberten Stadt. Die Fortschritte, die Franz in Oberitalien und Neapel
machte, wurden durch den Abfall Genua's von Frankreich und eine ausbrechende
Pest gehemmt; unter der letzteren litten aber auch die Deutschen, und so kam es
denn (Franz'Mutter und Karl's Tante) zu dem Damensrieden von Cambray