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Lebensformen das Mutterland übertrafen. In diesen Verband gehörten 
die blühendsten Städte der griechischen Niederlassungen, Miletos, Ephesos, 
Priene, Phokäa u. a. m., in welchen das jonische Kulturleben sich in 
raschem Steigen entfaltete. Auch die Inseln Chios und Samos gehörten 
dem jonischen Bande an, so wie das äolische Smyrna sich ihm anschloß. 
Der dorischen Städte zählte man sechs; unter ihnen Halikarnassos, 
des Herodot Geburtsort. Jede einzelne dieser Kolonien gründete wieder 
Pflanzstädte zweiten Ranges; so zählte Miletos allein über 80 Töchter¬ 
städte und es entstanden blühende Staaten, deren Reichthum und Macht 
wohl mit dem Mutterlande wetteifern konnten. 
Doch Kleinasien genügte dem erwachten Unternehmungssinn der 
Griechen nicht mehr allein. — Die Küste von Thracien und Macedonien, 
Unteritalien und Stätten bedeckte sich mit Pflanzstädten hellenischen Ur¬ 
sprungs; die griechische Sprache ward die herrschende, wo griechische 
Kolonisten sich niederließen, und das Binnenland Unteritaliens ward 
Großg riechenland genannt. Ja, selbst ander afrikanischen und 
den gallischen und spanischen Küsten hatten sich hellenische Ansiedelungen 
verbreitet, dort das reiche üppige Kyrene, hier die blühende Handelsstadt 
Massilia u. a., und mit Recht durfte einst Cicero sagen, daß den Land¬ 
schaften der Barbaren ein hellenischer Saum angewebt sei. 
7. Leben und Sitten in der homerischen Zeit. 
Der Zeitraum, welcher die so lieblich von der Poesie erhellte Vorzeit 
von der ersten thatsächlich-historischen Ueberlieferung trennt, liegt in tiefem 
Dunkel begraben. Die Dichtung reicht nicht so weit vor, die Geschichte 
nicht so weit zurück, als daß sie sich begegnen konnten. Ehe das rauhe 
Bergvolk der Dorier im Peloponnes auftrat, mußte eine reiche Welt 
vernichtet werden, von welcher alle Spuren verwischt sind, außer Homer 
und die Mauern von Tyrinth und Mykene. 
Die homerische Staatsverfassung war das patriarchalische Königthum. 
„Niemals frommt Vielherrschaft im Volke. Nur Einer sei Herrscher, 
Einer König allein!" — 
An der Spitze jedes Volksstammes oder Gemeinwesens stand der 
König als Heerführer, Richter und priesterlicher Vertreter bei der Gott¬ 
heit, mit besondern Vorrechten ausgestattet und geehrt von dem Volke 
wenn er tapfer im Felde, weise im Rathe und beredt in der Versamm¬ 
lung war, so wie er an körperlicher Gewandtheit und Stärke Allen vor¬ 
angehen sollte. Die Könige waren die göttlich gebornen, gottgenährten, 
doch nicht in dem Sinne, in welchem die morgenländischen Völker ihre
	        
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