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überredete, und zugleich bemüht war, die entsetzlichen Folgen dieser Ma߬
regel zu verheimlichen oder zu vermindern.
Die Schilderungen der französischen Geschichtschreiber fällen ein
trauriges Urtheil über die Maintenon. „Es fehlte ihr an Größe und
Tiefe des Charakters /' sagt S. Simon; „eitel und ehrgeizig genug, um
den König beherrschen und erleuchten zu wollen, betrachtete sie die Welt
wie durch die Oeffnung einer Bouteille. Nie erhob sich ihre Gewandt¬
heit zu ächter Weisheit, und nie hatte sie den Muth, Wahrheit und Un¬
schuld zu vertheidigen, wenn sie befürchten konnte, daß ihr Widerspruch
dem Könige mißfalle. Immer bot sie ängstlich die Hand zu Allem, was
seinen Neigungen und Leidenschaften schmeichelte. Sie hatte ihren Ein¬
fluß für den Preis gar vieler Sorge, Langeweile und Verdrießlichkeiten
erkauft, und er gründete sich darauf, daß sie sich auch in das Schlechte,
ja Verbrecherische schickte." Wie unglücklich sie selbst sich auf dem Gipfel
ihrer Macht fühlte, geht aus ihren Briefen nur allzudeutlich hetvor:
„Am Hofe," schreibt sie z. B., „sieht man nichts als Eigennutz, Neid,
Feigheit und Niederträchtigkeit. Ueber die Fehler Anderer ist der König
unversöhnlich; zur Rechtfertigung der seinigen sucht er dagegen gar zu
gerne Vorwände und Gründe. Wenn ich auf mein Leben bis zum An¬
fange meiner Erhebung im 32. Jahre zurückdenke, so war kein Augen¬
blick ohne Leiden, und diese nehmen immer zu. Könnte ich Ihnen doch
meine Erfahrungen schenken, und Ihnen die Langeweile zeigen, welche
alle Großen verzehrt, und die Noth, welche sie haben, ihre Zeit aus¬
zufüllen. Sehen Sie denn nicht, daß ich vor Traurigkeit in einem Glücke
sterbe, welches man kaum begreifen kann? Ich war einst jung und
hübsch, ich habe Vergnügungen genossen, ich ward überall geliebt, ich
brachte Jahre in geistigem Umgange zu, ich stieg zum höchsten Glücke
empor, und ich versichere Sie, daß alle Zustände des Lebens eine ent¬
setzliche Leere zurücklassen."
Die Beschwerden mehrten sich mit dem Verlaufe des spanischen Erb¬
folgekrieges, und der Nothwendigkeit einer weit ausgesponnenen Politik,
welcher Ludwig mit seinem ermatteten Geiste und mit Männern, die
nicht das Genie eines Louvois, Turenne und Conde hatten, nicht ge¬
wachsen war. Zu dem Verdrusse über das Mißlingen mancher politi¬
schen Unternehmungen kam schwerer häuslicher Kummer, und die Vor¬
sehung ließ Ludwig XIV. lief empfinden, was er noch nicht kannte,
menschlichen Schmerz und menschliches Leiden im Gefühl der Ohnmacht
dem eisernen Schicksal gegenüber. Im Jahre 1711 starb sein ältester
Sohn, Ludwig, fünfzig Jahre alt, und alle Hoffnung war nun auf
dessen Söhne Ludwig, Philipp und Karl gesetzt, die der fromme
und gelehrte Erzbischof Fenelon trefflich erzogen hatte. Doch auch
diese Hoffnung wurde ihm geraubt; sein Enkel Ludwig starb schon im
Jahre 1712 und Karl zwei Jahre darnach. Die Thronfolge beruhte
jetzt auf den Söhnen seines Enkels Ludwig, weil Philipp als König von
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