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Die Züricher mußten das Feld räumen und konnten es nicht ein¬ 
mal abwehren, daß die Feinde den Leichnam ihres verehrten Lehrers 
grausam mißhandelten. Bald darnach aber rächten die übrigen refor- 
mirten Kantone, besonders Basel, Bern und Schaffhausen, diese Nieder¬ 
lage, und zwangen die Katholiken zu einem Frieden, in welchem die 
Verbreitung der Reformation freigegeben wurde. 
Diese wurde auch bald von Genf aus durch Johann Chauvin oder 
Calvin auf's Neue angeregt, welcher, aus Frankreich vertrieben, in die 
Schweiz gekommen war. Auch in Frankreich hatte sich die Reformation 
Eingang verschafft. War ja doch die Stimme der Wahrheit schon im 
dreizehnten Jahrhundert hier erschollen, und die frommen todesmuthigen 
Waldenser waren noch nicht ausgestorben. Hätte König Franz I. den 
Geist der Zeit wahrgenommen, hätte er sich an die Spitze der Refor¬ 
mation gestellt, so würde Frankreich vielleicht damals das erste Land 
Europa's geworden sein. Franz war aber zu leichtsinnig, um überhaupt 
eine Gesinnung zu haben. Während er sich mit den Protestanten in 
Deutschland gegen den Kaiser verband, ließ er sich durch katholische 
Priester verleiten, sie in seinem eigenen Lande als Ketzer mit Feuer und 
Schwert zu vertilgen. . 
Damals lehrte in Paris Johann Calvin, ein gelehrter und tief¬ 
sinniger, leidenschaftlicher und unduldsamer Gegner der päbstlichen Mi߬ 
brauche. Von seiner Stelle vertrieben und des Landes flüchtig, kam er 
nach Straßburg und von hier nach Genf, dessen Bürger, im Bunde 
mit Bern und Freiburg, mit den Waffen in der Hand ihre Freiheit von 
dem Herzoge von Savoyen ertrotzten, und den Bischof nöthigten, die 
Stadt V verlassen. Im Jahre 1536 begann Calvin daselbst sein Amt 
als Lehrer der Hochschule und Prediger. Er lehrte im Geiste Zwingli's, 
doch weniger milde und duldsam gegen Schwache und Andersdenkende. 
Er hatte den sittlichen Ernst eines altrömischen Censors, und forderte 
mit hierarchischer Strenge von Obrigkeit und Bürgerschaft die strengste 
Sittenreinheit und Entsagung. „Ein Volk, das frei sein will, darf nicht 
den Lastern stöhnen." 
Nach dem steten Genf flüchtete sich der spanische Arzt Michael Servet, 
der die Dreieinigkeit läugnete und deshalb in den Kerker geworfen 
wurde. Calvin gab sich Mühe, den Mann zum Widerrufe zu bereden; 
als es ihm aber nicht gelang, willigte er in die Hinrichtung desselben. 
Michael Servet wurde in der freien, protestantischen Stadt Genf lebendig 
verbrannt. v ^ r 
Mit Calvin's Ruf stieg die Bedeutung Genf's für die Reformation. 
Die lieblich gelegene Stadt wurde bald der Mittelpunkt der evangeli¬ 
schen Lehre für die romanischen Länder, auf deren religiöse Entwickelung 
der gewaltige Reformator den größten Einfluß übte. Mit Recht gilt 
er als der zweite Begründer der reformirten Kirche. Aus der franzö¬ 
sischen Schweiz trat die neue Lehre auch in die italienische über. Als
	        
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