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Noch eine hohe Säule zeugt von verschrvundner Pracht; 
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht. 
16. Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland; 
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand. 
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch - 
Versunken und vergessen! Das ist des Sängers Fluch. 
190. Deutsche Städte im Mittelalter. 
Von Gustav Freytag. 
Noch liegt die Stadt um 1300 zwischen Wald und Wasser, 
von Holz, Teich, Bruch und Heide umgeben. Aus der Heide 
führt die Straße durch die Landwehr, einen Wall mit Graben, 
der die Flur und ihre Gemarkung in weitem Kreise umzieht; 
der Wall ist mit Dornengebüsch und Knicken besetzt, die 
Feinde abzuhalten. Über die Baumgipfel des Waldes und auf 
den benachbarten Höhen ragen einzelne Warttürme, schmuck¬ 
lose Steinbauten, mit Umgang oder Plattform. Hinter der Land¬ 
wehr zeigt sich die Stadt. Die Morgensonne glänzt von den 
hohen Kuppeln der Stadtkirchen, von dem riesigen Holzgerüst 
des neuen Doms, an welchem gerade gebaut wird, und von 
vielen großen und kleinen Türmen der Stadt. Sehr groß ist 
die Zahl der Mauertürme; München hatte damals gegen hun¬ 
dert, Frankfurt zwischen sechzig und siebzig. Diese Türme, 
quadratisch oder rund gebaut, von ungleicher Höhe und Dicke, 
sind bei einer reichen Stadt mit Schiefer oder Ziegeln gedeckt, 
vielleicht mit metallenen Knäufen versehen, welche im Sonnen¬ 
lichte wie Silber glänzen. Auch Erker springen aus der Mauer 
vor nach dem Stadtgraben; sie sind zum Teil heizbar, zier¬ 
lich gedeckt und mit metallenen Kugeln geschmückt. So wird 
die alte Stadt gewaltig dem Anblick, und der Buschreiter, wel¬ 
cher von seinem Klepper auf den ungeheuern Steinkasten 
schaut, denkt begehrlich bei blinkenden Kreuzen und Knöpfen 
an die tausend herrlichen Dinge, welche die Stadtmauer seinem 
Wunsche vorenthält. Aber zwischen ihm und der Stadt steht 
aut einer Anhöhe der Rabenstein, und schwarze Vögel fliegen 
dort um formlose Bündel an dem hohen Stadtgalgen. Beim 
Hochgericht vorbei führt der Weg durch Äcker, Weiden und 
Gemüsegärten. Noch außerhalb der Mauern sind Menschen¬ 
wohnungen ; hier ein Ackerhof mit Steinhaus, Stall und Scheuer, 
wahrscheinlich Landbesitz eines Geschlechtes; der Ackerhof
	        
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