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IV. Württemberg als Königreich.
stalten, bleich, hohläugig, langbärtig, in der seltsamsten Vermummung, in Pelzen,
Weiberkleidern, drängten sich vorwärts, schlugen sich um ein fallendes Pferd,
dem sie heißhungrig das Fletsch vom Leibe schnitten, mordeten sich um ein Stück
Brot und stürzten in den Schnee, um nicht wieder aufzustehen. In jeder Nacht
lagen die Erfrornen reihenweise um die erloschenen Feuer. Viele sah man wqhn-
sinnig mit gräßlichem Gelächter sich in das Feuer stürzen. Viele wurden von den
russischen Bauern ergriffen, nackt ausgezogen und wieder in den Schnee gejagt."
An der Beresina wurden die Reste des Heeres durch russische Kanonen begrüßt.
Von den Württembergern waren hier noch 80Mann unter den Waffen, in Polen
sammelten sich etwa 300, die einzigen, welche zurückkehrten. Später kamen noch
mehr aus der russischen Gefangenschaft zurück; von etwa 15,800 Mann sahen
1000 ihr Vaterland wieder. Vom ganzen Heere sind nur noch 58,000 Mann
zurückgekehrt, Gott hatte gerichtet; Napoleons Macht war ge-
brochen. Und doch hatte er die Frechheit, in seinem 29. Armeebülletin zu
schreiben: „Nur schwache Seelen im Heere verloren die gute Laune und träum-
te n von Unglück, die starken behielten ihren Frohsinn." —
1813. Nun begann das Werk „derWiedergeburt des deutsch en Reichs".
Der König von Preußen erließ den Aufruf „An mein Volk": „Wir erlagen
unter der Uebermacht Frankreichs und der Frieden schlug uns tiefere Wunden
als der Krieg. Die Hauptfcstungen blieben dem Feinde, das Mark des Landes
ward ausgesogen, der Ackerbau gelähmt, der Handel vernichtet, das Land ein
Raub der Verarmung. Durch die treueste Erfüllung aller Verbindlichkeiten
gegen den französischen Kaiser hoffte ich mein Land zu erleichtern, aber meine
reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt. Ihr
wißt, was ihr seit sieben Jahren erduldet habt. Ihr wißt, was euer trauriges
Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Große Opfer
werden von allen Ständen gefordert werden, aber ihr werdet sie lieber dem Va-
terland bringen, als dem fremden Herrscher. Es ist der letzte entscheidende Kampf.
Wir haben keinen andern Ausweg, als Sieg oder Untergang. Gott und unser
fester Wille wird der gerechten Sache den Sieg verleihen." Ein hoher Muth
und eine edle Begeisterung hoben das Volk; alles lief zu den Waffen. Major
von Lützow gründete ein Freikor ps von fr ei willigen Jägern. Man
brachte das Letzte dar, um tüchtig rüsten zu können.
Unterdessen hatte Napoleon ein neues Heer zusammenzuraffen gesucht.
Bertrand zog aus Italien herbei. Mecklenburg und Anhalt hatten sich mit
Preußen verbunden, aber die Süddeutschen wagten diesen Schritt nicht. König
Friedrich von Württemberg erklärte am 30. Dezember 1812 seinem
Volke, „daß er ohne seine Schuld genöthigt sei, seinen lieben und getreuen Unter-
thanen neue Lasten aufzuerlegen, und daß er nur zu sicher fühle, wie schwer ihnen
unter den gegenwärtigen Verhältnissen diese Opfer werden müssen." In wenigen
Monaten stellte er 12000 Mann unter dem Befehl des Generals Franque-
m ont und ließ sie zu Napoleons Herr stoßen. Im Mai hatte dieses die ver¬
bündeten Preußen und Russen bei Groß-Görschen geschlagen. In der
Schlacht bei Bautzen (20. Mai) zeichneten sich die Württemberger unter
General S t o ck ma i er aus. Hierauf wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der
bis zum 20. Juli dauern sollte, aber von Napoleon gebrochen wurde. Der sran-
zösische General Fourn ier und mit ihm die württembergische Reiterei unter