I. Beschreibungen und Abhandlungen.
1. Geschichtliche Stoffe.
1. Die Renaissance.
Rudolf Sohm. Kirchengeschichte im Grundritz. Leipzig 1892'.
Wenn wir um das Jahr 1500 in Deutschland eintreten, so lesen
wir über dem Torbogen, durch welchen wir unsern Einzug halten,
in goldenen Lettern die Inschrift: Renaissance. Ein Iubelruf
geht durch die ganze gebildete Welt: „Freuet euch, freuet euch! Die
Welt des klassischen Altertums, neuverklärt, in jugendlicher Schönheit 5
ist sie wiedergeboren worden! Hier ist der echte Aristoteles, hier der
göttliche Plato, hier die Meisterwerke der Kunst und Wissenschaft,
wunderbarer Schönheit, unsterblichen Geistes voll, — und die Sonne
Homers, siehe, sie leuchtet auch uns!"
Ein neues Evangelium der Bildung erfüllte, von Italien aus- w
gehend, das Abendland. Die mittelalterlichen Ideeen und Anschauungen
wichen dem Geiste des auferstandenen Altertums. Eine neue Zeit
zog herauf, morgenfrisch, eine Zukunft voll unerschöpflicher Verheißun¬
gen im Mutierschoße tragend.
Und doch, war dies die Wiedergeburt, welche das fünfzehnte 15
Jahrhundert so heiß ersehnte? War dies das Evangelium, nach
welchem die alternde Welt des Mittelalters begehrte, um sich aufs
neue jung daran zu trinken? Nein, trotz alledem und alledem! Was
die Welt des fünfzehnten Jahrhunderts in ihrem Tiefinnersten be¬
gehrte, war nicht Renaissance, sondern Reformation, war nicht 20
die Wiedergeburt von Kunst und Wissenschaft, sondern die Wiedergeburt
der Kirche an Haupt und Gliedern, war nicht die Botschaft von der
Neuentdeckung des Altertums, sondern die Botschaft, welche den Armen
gepredigt worden war, welche die Sünder selig machen und den
Puls, Lesebuch VA. 2. Ausl. 1