Full text: [Band 4, [Schülerband]] (Band 4, [Schülerband])

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bewegen. Das ist der Greis. — Aristoteles, Horaz, Hagedorn haben die 
Lebensalter geschildert, ihre Schilderung muß für die Seele auf gewisse 
Hauptbegriffe psychologisch zurückgeführt werden, und diese sind Neugierde, 
Einbildungskraft und Leidenschaft, Witz und gesundes Urteil, 
endlich die alte Vernunft. Und ans ihnen wird so ein System des 
menschlichen Lebens, wie Montesquieu die Regierungsarten geschildert hat. 
Jeder Mensch muß sie durchgehen, denn sie entwickeln sich auseinander, 
man kann nie das folgende genießen, wenn man nicht das vor¬ 
hergehende genossen hat, das erste, enthält immer die Data zum 
zweiten, sie gehn in geometrischer, nicht arithmetischer Progression fort, 
in ihrer ganzen Folge nur genießt man das Leben und wird auf honette 
Weise alt. Man kann nie das vorhergehende völlig zurücknehmen 
(auch in Verbesserung), ohne das gegenwärtige zu verlieren. 
Hingegen aber, wenn man 1. dem Lebensalter nicht Genüge tut, in 
dem man ist, 2. wenn man das folgende vorausnimmt, 3. wenn man gar 
alle aus einmal nimmt, 4. wenn man in verlebte zurückkehrt, da ist die 
Ordnung der Natur umgekehrt, da sind veraltete Seelen, junge Greise, 
greise Jünglinge. Unsere Vorurteile der Gesellschaft geben viel Gelegenheit 
zu solchen Monstern. Sie nehmen Zeitalter voraus, kehren in andere zurück, 
kehren die ganze menschliche Natur um. So ist Erziehung, Unterricht, 
Lebensart hier eine Stimme der Wahrheit, und Menschheit ist Wohltat, 
sie schafft den Genuß der ganzen Lebenszeit, sie ist unschützbar. 
b. Von der Ausbildung der Sinne. 
Man verliert feine Jugend, wenn man die Sinne nicht gebraucht. 
Eine von Sensationen verlassene Seele ist in der wüstesten Einöde und im 
schmerzlichsten Zustande der Vernichtung. Nach langen Abstraktionen folgen 
oft Augenblicke dieses Zustandes, die verdrießlichsten im Leben. Der Kopf 
wüste und dumm, keine Gedanken und keine Lust sie zu sammeln, keine Be¬ 
schäftigung und keine Lust sich zu beschäftigen, sich zu vergnügen. Das sind 
Augenblicke der Hölle, eine völlige Vernichtung, ein Zustand der Schwach¬ 
heit bis aus den Grad, was zu begehren. — Man gewöhnt die Seele 
eines Kindes, um einst in diesen Zustand zu kommen, wenn man sie in 
eine Lage von Abstraktionen ohne lebendige Welt, von Lernen ohne Sachen, 
von Worten ohne Gedanken, von gleichsam Ungedanken ohne Gegenstände 
und Wahrheit hineinquält. Für die Seele des Kindes ist keine größere 
Qual als diese; denn Begriffe zu erweitern wird nie eine Qual sein. Aber 
was als Begriffe einzubilden, was nicht Begriff ist, ein Schatten von Ge¬ 
danken ohne Sachen, eine Lehre ohne Vorbild, ein abstrakter Satz ohne 
Datum, Sprache ohne Sinn — das ist Qual, das altert die Seele. (Alle 
Tugenden und Laster sind solche Abstrakta ans 1000 Fällen herausgezogen, 
ein seines Resultat vieler seiner Begriffe.) 
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