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gefaßt, „die Erweckung und Kräftigung des gesunkenen Volks-
bewußtfeius durch Entwicklung der körperlichen und sittlichen Volks-
krast zu bewirken". Das machte er sich zur Aufgabe seines Lebens.
Jahn wirkte aber nicht nur mit schönen Worten, sondern auch mit
der Tat. An den schulfreien Nachmittagen nahm er Schüler in
immer mehr wachsender Zahl niit in Feld und Wald, wo Jugend¬
spiele und einfache Übungen vorgenommen wurden. Der größere
Teil der Schüler verlies sich jedoch bald wieder. Es blieb nur em
kleiner Stamm, der auch im Winter zusammenhielt. Im Frühjahr
1811 wurde der erste Turnplatz in der Hasenhaide dicht bei Berlin
errichtet. In jugendlichem Wettstreben wurden nun öffentlich die
verschiedenartigsten Leibesübungen gepflegt. Da Jahn die Jugend
nicht nur zu männlicher Kraftfülle heranzubilden, sondern auch im
Vaterlande heimisch zu machen suchte, wurde neben der Körper¬
pflege „in der schlimmsten Franzosenzeit der Turnjugend die Liebe
zu König und Vaterland ins Herz gepredigt und geprägt." Gleich¬
zeitig schürte Jahn das deutsche Nationalgefühl und den Haß gegen
die Feinde Deutschlands. Im Jahre 1813 trat er als Bataillons¬
führer in das Lützowsche Freikorps ein. Unter mancherlei Ver¬
besserungen nahm er nach seiner Rückkehr den Turnunterricht in der
Hasenhaide wieder auf, wo die Turugemeinde sich für das Vaterland
stählte, rüstete, wappnete, ermannte und ermutigte, Glaube, Liebe
und Hoffnung sich jederzeit bewahrte und an jugendliches, fröhliches
Zusammenleben gewöhnt wurde. Jahn einte die Getrennten und
hinderte den Zwiespalt und weckte den Gemeinsinn in den Knaben
.des Volkes, das seine schweren Ketten abschütteln sollte. Die Turn¬
kunst war in ihrer besonderen Gestalt und Ausübung ein vater¬
ländisches Werk und trug ein volkstümliches Wesen. In den ge-
schmeidigen und gesunden Leibern der Jünglinge gedieh eine freie
und starke Seele.
Jahn sagte von sich: „Ich habe für das Vaterland als Kind
m frommer Erregung gebetet, als Knabe geglüht, als Jüngling ge¬
schwärmt, als Mann geredet, geschrieben, gefochten und gelitten.
Mein Leben lang habe ich als des Vaterlandes getreuer Eckart an
den Abwegen zur Undeutschheit und Ausländerei Wacht gehalten.
Die Verirrten habe ich auf den Richtsteig zur Tugend und Ehre
zurückgewiesen"
So hat Jahn unablässig mitgearbeitet, damit dem deutschen
Volke das „Unglück zum Heil, die Strafe zur Buße und die Schande
zur Ehre" gereichte.
Nach dem Frieden wurde die gute Sache mit Eifer weiter
betrieben. Jahn bereitete sich aber durch fein maßloses, schroffes
Auftreten und durch seinen Widerstand gegen alle politischen Ver¬
hältnisse viele Feinde. Er und seine Turnerei wurden verdächtigt,
so daß man ihn und sein Werk für staatsgefährlich hielt. Man ver¬
urteilte ihn zu Festuugshaft und Verbannung, das Turnen zur
Unterdrückung.
Hat aber das Wahre und Gute einmal Wurzel gefaßt, so kann
Schanze, Lesebuch. 12. Aufs. g