X Vorrede.
Traditionen durch willkürliche Bildungen ersetzen. In dem einen wie in dem
andern Falle wird ein solcher Versuch nicht ungestraft bleiben. Ich brauche
mich wohl nicht gegen die Mißdeutung zu wahren, als wollte ich dem starren
Festhalten am Alten, dem Principe der Stabilität das Wort reden. Niemand
wird ein gesundes Leben und Fortschreiten, wo es sich immer zeigen mag,
freudiger begrüßen als ich; aber je mehr ich jeden freien Geistesflug im ge-
ordneten Weltraum ehre und fördere, je freudiger ich bei jedem freien
Wachsthum aus natürlicher Triebkraft mich angeregt fühle, desto miß>
iranischer blicke ich auf die Schöpfungen der Willkür, auf die schwächlichen
Schößlinge eines künstlich erhitzten Pflanzenhauses. Der Fluch des Jcarus ist
mir eben so unheimlich, wie das ängstliche Kleben an der Scholle, wie das
engherzige Beharren in alten düstern Räumen ohne Luft und Sonnenlicht.
Mit diesen Anschauungen, die mit meiner Natur, mit meinem ganzen
Wesen in Einklang stehen, bin ich an die Weltgeschichte herangetreten, nach-
dem ich zuerst durch einige Werke particnlar-historischen Inhalts von ein-
geltenderen Studien Zeugniß abgelegt und durch eine mehr als zwanzig-
jährige Lehrthätigkeit mich in allen Theilen des Völkerlebens orientirt hatte.
Schwerlich ist jemals ein Schriftsteller mit größerer Schüchternheit und
Timidität vor die Oeffentlichkeit getreten, als ich mit meinem Lehrbuch der
Weltgeschichte. Es bedurfte der äußern Aufmunterung, um mich auf der
betretenen Bahn festzuhalten. Diese ist mir denn auch durch die freundliche
Aufnahme, welche mein größeres wie mein kleineres Lehrbuch sowohl in
Deutschland als im Auslande gefunden hat, in erhebender Weise zu Theil
geworden. Dennoch bin ich weit von dem selbstgefälligen Glauben entfernt,
daß meine Leistungen allen Anforderungen genügten. Nur einen Vorzug
nehme ich in Anspruch, und diesem habe ich wohl alle Erfolge zuzu¬
schreiben — es ist die warme Begeisterung für die Sache, es ist die auf-
richtige Hingebung an den Beruf des Geschichtslehrers. Vielleicht, daß sich
in der Darstellung einige Spuren von den Gefühlen kund geben, die beim
Schreiben oder Lehren in meiner eigenen Brust lebten und nach Ausdruck
rangen, daß der alte Spruch sich bewährte: pectus est quod discrtum facit.
Ich kann darüber nicht urtheilen. Nur das Eine weiß ich, daß Alles, was
ich mündlich oder schriftlich mittheile, seinen Weg aus dem Herzen nimmt,
und daß ich aus meinen Lehrstunden oder von meinem Schreibtische in der
Regel die größte Ausbeute für mich selbst, für mein eigenes Innere davon¬
trage. Ich erwähne dieses nur, um die Ansicht zu begründen, daß, wenn
zu jedem erfolgreichen Schaffen ein innerer Beruf gehört, dieß vor Allem
von dem Geschichtsunterrichte gelte, daß bei diesem Lehrgegenstande jeder
Methodik als oberster Satz vorauszuschicken sei: Der Geschichtslehrer
müsse vor Allem selbst von seinem Stoffe erfüllt und er-
wärmt sein.
Aber wie wahr es auch bleibt, daß jeder Geschichtslehrer sich seine eigene
Methode schaffen müsse, so ist es nicht minder wahr, daß er an fremden
Erfahrungen und Versuchen Vieles lernen könne. Der Weg durch die eigene
Schule ist zwar der erfolgreichste, aber auch der mühsamste, und nicht Jedem
ist es vom Schicksale vergönnt, gleich Anfangs auf den Posten gestellt zu
werden, der feiner Natur am angemessensten ist, nicht bei Jedem spricht die
innere Stimme so laut und vernehmlich, daß er sogleich den richtigen Weg
erkenne und ergreise. In solchen Fällen sind äußere Hülfsmittel und zweck-
mäßige Anordnungen eine heilsame Stütze. Daher gestatten Sie mir nun
noch einige Andeutungen und Winke über Form und Anordnung der Ge¬
schichtslehrbücher auszusprechen.